Manchmal frage ich mich stundenlang, ob sich meine Katze wohl fühlt. Das beschäftigt mich so stark, dass ich mir irgendwann sage: «Stopp!»
Heute gelingt mir das. Ich lasse mich nicht mehr allzu sehr von Gefühlen überwältigen. Früher empfand ich Angst, Trauer oder Wut so intensiv, dass ich die Realität ausblendete. Ich habe Schizophrenie. Die Krankheit brach vor 15 Jahren aus. Ich interessierte mich damals für Philosophie und identifizierte mich so mit Friedrich Nietzsche, dass ich nichts anderes mehr las. Plötzlich bekam ich das Gefühl, ich könne mein Denken nicht mehr lenken. Ich befürchtete, Nietzsche habe mir eine Gehirnwäsche verpasst. Daraufhin ging ich zum Psychiater und erhielt Medikamente. Ich beruhigte mich.
Eines Tages kamen Verfolgungsängste: Ich dachte, jeder könne meine Gedanken lesen, und war überzeugt, mein Nachbar wolle mich töten. Gleichzeitig war ich sicher, ich könne Menschen per Gedankenübertragung beeinflussen. So versuchte ich während eines Konzerts, bei einem Cellisten Blähungen auszulösen.
Daraufhin ging ich für zwei Monate in eine Klinik. Eine Pflegefachfrau überzeugte mich, dass ich Wahnvorstellungen habe. Dies bewirkte, dass ich mich von den verrückten Ideen lösen konnte, auch mit Hilfe eines Medikaments.
Seit drei Jahren geht es mir besser. Meine Psychologin konfrontiert mich mit meinen Gefühlen. So habe ich mir vor einem Jahr eingestanden, dass ich mich auch von Männern angezogen fühle.
Wahrscheinlich könnte ich nicht mit jemandem zusammenleben. Das würde mich stressen. Gleichzeitig fühle ich mich oft einsam und sehne mich nach Liebe. Das führt dazu, dass ich mich zu sehr anpasse. Ein Beispiel: An einem Schwulentreff erzählte mir jemand, dass er mit seinem Boot auf dem Vierwaldstättersee angelt. Ich sagte, dass ich den See uninteressant finde, aber gern in Bergseen fische. Das gefiel ihm nicht. Danach war ich zwei Stunden damit beschäftigt, das wieder hinzubiegen. Ich sagte sogar, ich würde gern einmal mit ihm auf dem Vierwaldstättersee fischen gehen. Später wurde mir klar, dass ich besser einfach mit jemand anderem geredet hätte.
Vor vier Jahren verlor ich meinen Job bei einer Kreditkartenfirma. Aber eigentlich gehts mir besser, wenn ich viel daheim sein kann. Der Alltag mit Mitarbeitern und Vorgesetzten löste bei mir ein permanentes Chaos im Kopf aus, sodass ich Wahnideen bekam oder depressiv wurde.
Ganz ohne Beschäftigung halte ich es allerdings nicht aus. Ich treffe Freunde, leite eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Wahnvorstellungen und halte gelegentlich Vorträge in Schulen. Bald beginne ich eine Ausbildung. Damit kann ich als Betroffener in der Psychiatrie arbeiten. Ich freue mich auf mehr Aktivität.
Schizophrenie: Betroffene leiden an Wahn und Ängsten
Patienten hören Stimmen, haben Wahnvorstellungen, oft Gefühlsschwankungen und Ängste. Die psychische Krankheit lässt sich zwar mit Medikamenten und Psychotherapie behandeln, aber nur bei etwa einem Drittel der Betroffenen heilen. Einer von acht begeht Suizid. Die Ursache für Schizophrenie ist nicht geklärt. Fach-leute diskutieren genetische, aber auch Umwelt-Faktoren.
Mehr Infos:
Guido Fluri Stiftung
Schulhausstrasse 10, 6330 Cham, Tel. 041 780 51 82, www.leben-mit-schizophrenie.com
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