Wenn ich am Morgen aufwache, bin ich meist zu schwach, um aufzustehen. Ich muss noch 45 Minuten lang liegen bleiben. Erst dann kann ich mich in den Rollstuhl setzen und fahre in die Küche, um zu frühstücken. Jeder Schritt kostet mich Kraft. Aber auch das aufrechte Sitzen strengt mich sehr an. Deshalb ruhe ich mich nach jedem Essen eine Stunde aus. Das Zmittag und das Znacht bestelle ich beim Mahlzeitendienst, denn zum Kochen habe ich nicht genug Energie.
Auch geistige Arbeit schwächt mich schnell. Wenn ich mich länger als eine Stunde auf etwas konzentriere, etwa auf ein Gespräch, habe ich am nächsten Tag starke Muskelschmerzen und Kopfweh. Gegen die Schmerzen nehme ich Medikamente. Aber gegen die schwere Erschöpfung helfen sie nicht. Manchmal fühlt es sich an, als ob mein Körper nicht mal mehr die Kraft hätte, um zu atmen.
Ich habe Myalgische Enzephalomyelitis. Das ist auch bekannt als Chronisches Fatigue-Syndrom. Es begann in Madagaskar, wo ich als 20-Jähriger Zivildienst leistete. Ich hatte mehrmals eine Infektion und litt unter Halsschmerzen. Vermutlich hatte mich ein Insekt oder eine Zecke gestochen und mit Rickettsienbakterien angesteckt. Nach einiger Zeit waren die Schmerzen weg, mein Körper blieb aber geschwächt. Zuvor war ich oft geklettert. Plötzlich kam ich nur noch auf halbe Höhe, und das mit Mühe. Beim Töff- und Autofahren wurde ich schläfrig und musste oft Pausen machen. Es fühlte sich an wie eine Grippe, die nicht mehr weggeht. Ich suchte Arzt um Arzt auf. Keiner wusste, was los war. Mir ging es immer schlechter, und ich hatte das Gefühl, mein Leben rinne mir wie Sand durch die Finger. Erst nach drei Jahren erhielt ich die Diagnose.
Ich finde es brutal, dass die Krankheit all meine Zukunftspläne zunichte gemacht hat. Zum Beispiel kann ich mir nicht vorstellen, einmal eine Familie zu haben. Ich habe auch keine Freundin, dazu bin einfach zu schwach. Auch meinen Beruf als Elektroniker musste ich aufgeben: Ich lebe von der IV. Es macht mich traurig, dass ich nicht mehr klettern, Fallschirm springen oder Töff fahren kann. Froh bin ich um Facebook und Twitter. So bleibe ich mit meinen Freunden in Kontakt. Längere Besuche strengen mich zu sehr an. An guten Tagen werkle ich ein wenig. Ich liege auf der Couch und baue elektronische Teile zu einem Roboter zusammen. Ich füge auch eine Kamera und ein Mikrofon ein. Die Geräte gebe ich meinen Geschwistern und Freunden. So kann ich virtuell an Anlässen teilnehmen. Meine Nichten nahmen einmal einen Roboter in den Zoo mit. So konnte ich mit ihnen die Tiere anschauen und war wenigstens ein bisschen dabei.
Abends kann ich nicht viel tun. Am liebsten liege ich auf dem Sofa und schaue zum nahen Wald. Wenn die warme Abendsonne hineinscheint, verspüre ich für kurze Zeit etwas Frieden. Zu weit in die Zukunft mag ich nicht denken. Ich nehme Tag für Tag – so geht es mir besser. Ich versuche, das Beste aus meinem Leben zu machen.
Chronisch müde: Jede Anstrengung ist eine zu viel
Leute mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom sind sehr schnell müde und erschöpft. Die Krankheit kann zu schwerer Behinderung führen. Ursache sind Entzündungen im Gehirn und Rückenmark sowie zum Teil auch in den Muskeln. Rund 1 von 100 Personen ist davon betroffen, Frauen etwa drei Mal so häufig wie Männer. Die Krankheit, die Experten auch Myalgische Enzephalomyelitis nennen, ist noch wenig erforscht. Sie beginnt häufig nach einem schweren Infekt, kann sich aber auch schleichend einstellen. Es dauert oft lange, bis Patienten eine Diagnose bekommen. Eine Therapie gibt es bisher kaum. Patienten müssen lernen, die noch vorhandene Energie haushälterisch einzusetzen.
Beratung und Informationen
Schweizerische Gesellschaft für ME & CFS, www.sgme.ch, E-Mail: info@sgme.ch