Sie sind blind und joggen trotzdem regelmässig. Wie oft sind Sie schon gestürzt?
Noch nie – und ich habe auch nicht vor, zu stürzen.
Wie schaffen Sie das?
Ich laufe zusammen mit einem sehenden Laufpartner. Dabei halten wir uns beide mit den Händen an einem kurzen Bändeli. Aufgabe des Guides ist es, jede Veränderung auf der Joggingroute anzusagen.
Wie geht das?
Wenn wir zum Beispiel auf einem unebenen Waldweg laufen, sagt er jeden grösseren Stein an, alle Kurven, Steigungen und Bodenwellen. Das Kommando muss so kurz wie möglich sein und im genau richtigen Moment kommen.
Warum?
Kommt das Kommando zu früh, laufe ich automatisch langsamer. Das ist ein Reflex, weil man auf das Hindernis wartet. Kommt es zu spät, kann es eine Katastrophe geben. Zum Beispiel bei einer Wasserrinne auf dem Waldweg. Wenn mein Fuss in die Rinne geriete, könnte ich stürzen.
Fällt es Ihnen schwer, dem Guide zu vertrauen?
Nein, überhaupt nicht.
Was ist für Blinde das grösste Problem beim Laufen?
Für Sehbehinderte ist es schwierig, die Richtung zu halten. Stellen Sie sich vor, dass Sie mit geschlossenen Augen 50 Meter geradeaus laufen wollen. Wenn man keinen Fixpunkt hat, an dem man sich orientieren kann, läuft man meistens schief.
Erinnern Sie sich noch an Ihr allererstes Lauftraining?
Ja, sehr genau. Das war im April 2018. Damals konnte ich gerade mal eine Minute am Stück joggen, weil meine Kondition nicht gut war.
Aber Sie sind drangeblieben.
Mein Ziel war es, zehn Minuten ohne Pause zu schaffen. Inzwischen laufe ich zwei bis drei Mal pro Woche, je zwei Stunden lang.
Was ist heute Ihr Ziel?
Ich möchte gern an einem Halbmarathon teilnehmen. Deshalb laufe ich lange Strecken und mache Intervalltrainings mit kleinen Sprints, um schneller zu werden.
Welche Rolle spielt das Hören?
Wie bei den meisten Blinden ist mein Gehör sehr gut ausgebildet. Deshalb höre ich den Guide, auch wenn er kein Wort sagt. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich kann hören, wo er ist, und orientiere mich daran.
Nervt es Sie manchmal, auf den Guide angewiesen zu sein?
Nein, im Gegenteil. Wenn er vor der Haustür steht und auf mich wartet, kann ich nicht einfach sagen, dass ich keine Lust habe. Hätte ich allein mit Joggen angefangen, wäre ich heute sicher nicht so weit. Die Guides sind eine Motivation für mich, besser zu werden.
Haben Sie auch andere Sportarten ausprobiert?
Ich schwimme sehr gern im Rhein. Mein Mann ist dann immer ein Stück hinter mir und sagt, ob ich mich etwas weiter links oder rechts halten soll. Ausserdem haben wir ein Tandem, mit dem wir gemeinsam fahren. Wiebke Vortriede
Zur Person: Pavla Flámová
Die Juristin und ausgebildete Sängerin stammt aus Tschechien. Mit ihrem Mann lebt sie in Basel. Sie kam als Frühgeburt zur Welt und erblindete kurz danach, weil sie zu viel Sauerstoff verabreicht bekam. Seit 2018 läuft sie mit den Guides des Vereins Blind-Jogging.