Robert von Rotz aus dem nidwaldnischen Fürigen spürte beim Liegen auf der Seite zunehmend Schmerzen. Auch längeres Stehen wurde immer unangenehmer. Er hatte Mühe, die Socken anzuziehen oder die Schuhe zu binden. Die Diagnose lautete Hüftarthrose. Der Arzt riet von Rotz, auf beiden Seiten ein künstliches Gelenk einsetzen zu lassen.
Die Operation vor zwei Jahren verlief nicht gut. Nach dem Eingriff war von Rotz’ rechtes Bein verkürzt. Auch die Symmetrie des Beckens war nicht mehr im Lot. Die Hüfte stand schief. Von Rotz spürte einen schmerzhaften Druck auf die Bandscheibe. Ausserdem knackt seit dem Eingriff die Sehne im Bereich der Hüftpfanne. «Ich war enttäuscht», sagt der 72-Jährige.
Vor einem Jahr musste sich von Rotz wieder unters Messer legen. Die linke Seite liess er dieses Mal in einem anderen Spital und von einem anderen Chirurgen operieren. Dieser schaffte es, die neue Hüfte wieder anzugleichen. «Ich bin froh», sagt von Rotz. «Die Schmerzen sind verschwunden.» Einzig die Sehne knackt noch, etwa beim Anheben des Knies oder beim Velofahren.
Chirurgen preisen das Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenks als sicheren Routineeingriff an. Die Schulthess-Klinik in Zürich zum Beispiel spricht auf ihrer Website von einer «der erfolgreichsten Operationen». Und die Universitätsklinik Balgrist in Zürich schreibt, die Patienten seien nach dem Eingriff «extrem» zufrieden.
Hüftimplantationen sind in der Schweiz weit verbreitet. Und: Die Patienten werden immer jünger. Die Zahl von Betroffenen zwischen 51 und 60 Jahren, denen Ärzte ein künstliches Gelenk einsetzten, nahm zwischen 2015 und 2021 um über 20 Prozent zu. Das zeigen Zahlen des Gesundheitsobservatoriums, das im Auftrag von Bund und Kantonen das Gesundheitswesen analysiert.
Ein Eingriff mit Tücken
«Eine Operation in diesem Alter kommt zu früh», sagt dazu Hannu Luomajoki, Professor für muskuloskelettale Physiotherapie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. Denn der Eingriff hat seine Tücken. So werben Chirurgen gern damit, dass die Prothesen 25 Jahre stabil halten. Doch das ist bei den wenigsten Patienten der Fall, wie eine Studie von 2019 zeigt: Bei sieben bis acht von zehn Patienten hielt sie nur 15 bis 20 Jahre lang. Der US-Chirurg Erik Hansen von der UCSF School of Medicine in San Francisco schreibt auf seiner Website, bei bis zu drei von hundert Patienten könne sich zudem später das Hüftgelenk auskugeln. Dieses Risiko sei bei älteren Leuten oder Patienten mit schwachen Muskeln erhöht.
Hinzu kommt: Jede Operation erhöht das Risiko für eine Infektion. In der Schweiz passiert das bei rund 70'000 Spitalpatienten pro Jahr (Gesundheitstipp 4/2023). Chirurgen führen zudem die meisten Hüftoperationen an Patienten durch, die unter Vollnarkose stehen. Damit steigt das Risiko für ein Blutgerinnsel in Lunge oder Venen. Eine Vollnarkose ist auch ein Risiko für ein Delir. Jeder dritte Patient ist nach einer Hüftoperation davon betroffen («Saldo» 10/2016).
Für viele Fachleute ist deshalb klar: Patienten sollten mit der Operation so lang als möglich zuwarten. Daniel Tapernoux von der SPO Patientenorganisation sagt: «Patienten sollten den Leidensdruck wirklich spüren, bevor sie sich eine Prothese einsetzen lassen.» Wenn man beispielsweise die Arthrose nur auf den Röntgenbildern sehe, ohne dass es zu Beschwerden oder Einschränkungen komme, sei ein Eingriff nicht nötig. Auch für Hannu Luomajoki ist klar, dass man Patienten zuerst mit einer Physiotherapie behandeln sollte. Gesundheitsökonom Heinz Locher aus Bern rät, eine Zweitmeinung einzuholen, bevor man sich operieren lasse.
Bei einem Knochenbruch liegt der Fall hingegen anders: Wenn ältere Leute stürzen, brechen sie sich oft den Oberschenkelhals. Dann ist laut Daniel Tapernoux eine Operation meist angebracht. Den Bruch auf natürlichem Weg heilen zu lassen, ist oft keine gute Alternative. Patienten sind in dieser Zeit bettlägerig und könnten eine Lungenentzündung oder -embolie bekommen.
Wenn eine Operation unausweichlich ist, sollten Patienten laut Daniel Tapernoux darauf achten, einen Chirurgen und ein Spital mit viel Erfahrung zu wählen. «Der Chirurg sollte den Eingriff 20 bis 50 Mal im Jahr machen, damit er genug Routine hat», sagt er. Websites wie Spitalfinder.ch oder Welches-spital.ch können bei der Wahl der Klinik helfen.
So zögern Sie die Operation hinaus
- Nehmen Sie ab. Übergewicht belastet die Gelenke.
- Achten Sie auf die Ernährung: Bauen Sie fetten Fisch, Pflanzenöle, Nüsse sowie Lauch und Zwiebelgemüse in Ihren Speiseplan ein.
- Stärken Sie Ihre Muskeln und das Gleichgewicht.
- Wählen Sie sanfte Sportarten: Gymnastik, Inlineskaten oder Yoga schonen die Gelenke.
- Verzichten Sie aufs Rauchen.
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