Die Tochter von Rita Studer (Name geändert) fühlte sich eines Tages nicht mehr als Mädchen. Sie empfinde sich als Bub, verkündete die 13-Jährige ihrer verdutzten Mutter. «Es kam wie aus heiterem Himmel», erinnert sich diese. Sie vermutet, dass familiäre Probleme und Mobbing in der Schule zum Unbehagen im weiblichen Körper beitrugen. «Dafür interessierte sich die Ärztin nicht.» Stattdessen sprach sie schon in der dritten Sitzung von Pubertätsblockern. Sie hemmen Hormone, welche die Mens und das Wachsen der Brüste auslösen.
Heute sind die Eltern geschieden, die Tochter zog zum Vater. Sie brach den Kontakt zur Mutter ab, weil diese gegen die Behandlung war. «Das hat unsere Familie auseinandergerissen», sagt Studer.
Jugendliche sollen laut neuer Leitlinie selbst bestimmen dürfen
Pubertätsblocker sind nur eine Vorstufe: Kindern werden anschliessend Sexualhormone des anderen Geschlechts verschrieben. Und Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: Im Jahr 2022 entfernten Chirurgen bei 24 minderjährigen Mädchen die Brüste. Zwischen 2019 und 2022 hat sich die Zahl der Geschlechtsoperationen mehr als verdoppelt.
Ärzte wie Dagmar Pauli von der psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich und David Garcia Nuñez vom Basler Universitätsspital fördern das. Pauli erstellt zurzeit mit anderen Ärzten eine neue Leitlinie zur Behandlung solcher Kinder. Die Leitlinie folgt dem sogenannten Gender-Affirmation-Ansatz. Das heisst: Sie gewichtet die «Selbstbestimmung» der Jugendlichen hoch. Pubertätsblocker würden betroffenen Jugendlichen «gut tun», sagte Pauli vor den Medien.
Noch weiss man nicht, welche Folgen Pubertätsblocker haben
Fachleute sehen das kritisch. Sie fordern einen Stopp solcher Therapien bei Jugendlichen. Der Zürcher Hausarzt Thomas Walser sagt, die sexuelle Identität könne sich in der Jugend verändern und sei erst mit 18 bis 25 Jahren einigermassen stabil. «Bis dahin sollten Ärzte nur ausnahmsweise auf so massive Art in den Körper eingreifen.»
Alexander Korte, Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in München, empfiehlt: «Man sollte Kinder nicht mit Hormonen behandeln und auch nicht operieren.» Dies sei «unverantwortlich», weil man viel zu wenig über die Folgen wisse.
Auch für Kinderarzt Daniel Halpérin aus Genf sind Geschlechtsoperationen nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Zuerst müsse man die Patienten psychologisch betreuen. Meistens genüge dies, um die Ängste der Betroffenen im Zusammenhang mit der sexuellen Entwicklung zu vermindern. Daniel Halpérin fügt an, die Ärzte sollten auf riskante und irreversible Behandlungen verzichten: «Es gibt zu wenig zuverlässige Studien dazu.»
Ob die Therapien den Betroffenen helfen, ist tatsächlich unklar. Eine Studie befragte rund 3000 Jugendliche über mehrere Jahre. Jeder fünfte fühlte sich zeitweise nicht wohl mit dem eigenen Geschlecht. Am Ende der Pubertät war dieses Gefühl aber bei den meisten weg. Eine Übersichtsstudie in der «Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie» zeigt: Betroffene sind nach der Hormontherapie nicht glücklicher.
Suizidgedanken, Erschöpfung, Gewichtszunahme
Dazu kommt: Pubertätsblocker können schaden. Sie lösen manchmal Gewichtszunahmen und Hitzewallungen aus. Einige Kinder leiden unter schwankender Stimmung und Erschöpfung. Zudem beeinflussen die Hormone das Gehirn: In einer Studie mit 25 Mädchen sank der Intelligenzquotient. Ein Kind stoppte die Hormone, weil es Suizidgedanken entwickelte. Pikant: Die Hormone sind nicht zugelassen für Jugendliche, die das Geschlecht wechseln wollen. Ärzte verschreiben sie auf eigene Verantwortung.
Auch Sexualhormone des anderen Geschlechts haben Nebenwirkungen: Das Risiko für Herzkrankheiten steigt um 40 Prozent. Die Hormone können zu brüchigen Knochen führen. Und: Nach der Behandlung mit Pubertätsblockern und Sexualhormonen sind die meisten Patienten unfruchtbar. So steht es in einer Übersichtsstudie deutscher Forscher.
David Garcia Nuñez vom Basler Universitätsspital räumt ein, dass die langfristigen Folgen von Pubertätsblockern nicht bekannt sind. Doch das Verwehren einer medizinischen Behandlung könne das Suizidrisiko steigern. Man untersuche die Jugendlichen ausführlich und setze die Medikamente nicht vorschnell ein.
Immer wieder bereuen Betroffene die Eingriffe. Nadja Brönnimann aus Zürich, geboren als Bub, lebt seit 28 Jahren als Frau. Sie sagt: «Der Wandel von Christian zu Nadja löste meine Probleme nicht.» Sie erinnert sich: «Es gab damals deutliche Anzeichen, dass ich aus meiner Haut herauswollte, weil ich nie erfahren hatte, was es heisst, bedingungslos geliebt zu werden.» Sie sagt: «Es wäre wichtig gewesen, dass man mich damals dazu aufgefordert hätte, meine seelischen Probleme mit einer Fachperson zu besprechen.»
Durch die jahrzehntelange Einnahme von weiblichen Sexualhormonen leidet sie unter Kopfschmerzen, inzwischen hat sie auch Probleme mit Knochen und Gefässen. Deshalb muss sie zusätzliche Medikamente einnehmen. Weitere Schwierigkeiten, für die sich viele Betroffene schämen: Sie verlieren manchmal ungewollt Urin und können keine erfüllende Sexualität mehr erleben.
Solche Folgen könnten Jugendliche bei weitem nicht abschätzen, sagt Brönnimann. Und: «Nach dem medizinischen Eingriff ist man lebenslang von der Pharmaindustrie abhängig.»
Das können Sie tun, wenn das Kind das Geschlecht wechseln will
• Nehmen Sie Ihr Kind ernst, suchen Sie das Gespräch.
• Stärken Sie das Kind für sein eigenes Geschlecht. Schildern Sie mit Freude, was in der Pubertät Spannendes passiert.
• Klären Sie ab, ob weitere Probleme vorliegen. Gehen Sie mit dem Kind zum Psychologen.
• Falls es zu Abklärungen kommt: Bestehen Sie auf einer zweiten Meinung.
• Klären Sie Ihr Kind über die Risiken auf.
Informieren Sie sich:
• Verein für einen angemessenen Umgang mit Fragen zum Geschlecht bei jungen Menschen, Aufg.ch
• Verein betroffener Eltern, Transteens-sorgeberechtigt.net
• Alexander Korte, «Hinter dem Regenbogen. Entwicklungspsychiatrische, sexual- und kulturwissenschaftliche Überlegungen zur Genderdebatte».