Hormone in den Sonnencremes
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Gesundheitstipp 6+7/2001
01.06.2001
Wissenschaftler warnen vor chemischem UV-Filter im Sonnenschutz
Stundenlang an der Sonne liegen ist jetzt definitiv out. Denn: Chemische UV-Filter in vielen Sonnenschutz-Mitteln können wie Hormone wirken. Dies das Ergebnis einer Studie der Uni Zürich. Der Puls-Tipp zeigt die Hintergründe und nennt alternative Sonnencremes.
Thomas Grether thgrether@pulstipp.ch
Wer sich vor Sonnenbrand schützen will, streicht kräftig Sonnencreme ein - bis am Ende d...
Wissenschaftler warnen vor chemischem UV-Filter im Sonnenschutz
Stundenlang an der Sonne liegen ist jetzt definitiv out. Denn: Chemische UV-Filter in vielen Sonnenschutz-Mitteln können wie Hormone wirken. Dies das Ergebnis einer Studie der Uni Zürich. Der Puls-Tipp zeigt die Hintergründe und nennt alternative Sonnencremes.
Thomas Grether thgrether@pulstipp.ch
Wer sich vor Sonnenbrand schützen will, streicht kräftig Sonnencreme ein - bis am Ende der Ferien hat man mehrere Deziliter davon auf der Haut verteilt. Die abendliche Dusche oder das Bad im Meer spült nicht alle Cremeresten weg. Ein Teil dringt über den Mund und durch die Haut in den Organismus ein. Dort lassen sich Ultraviolett-Filter (UV-Filter) in der Muttermilch von Frauen nachweisen.
Was UV-Filter von Cremes im Körper anrichten können, war bis anhin unbekannt. Doch jetzt haben Forscher des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich eine brisante Untersuchung veröffentlicht.
Das beunruhigende Resultat: Häufig verwendete Filter, die gegen die besonders gefährlichen UV-B-Strahlen schützen, liessen im Labor menschliche Brustkrebszellen wachsen. Ausserdem wirken die Filter wie Hormone. Laut den Zürcher Wissenschaftlern besonders hormonaktiv ist der UV-B-Filter 4-Methylbenzylidene-Camphor (4-MBC): «Er liess die Gebärmutter von jungen Labor-Ratten vorzeitig anwachsen», erklärt Studienleiterin und Toxikologin Margaret Schlumpf.
Der Puls-Tipp fand Cremes mit der Bezeichnung 4-MBC in den meistverkauften Sonnencremes von Migros, Coop und Drogerien. Darunter sind auch Sonnenschutz-Mittel für Babys und Kleinkinder.
Auf die Studien-Resultate angesprochen, reagieren einige der Creme-Hersteller ungehalten. Die Tests seien nicht nachvollziehbar, sagen sie. Und: Die Studie reiche nicht aus, um das Risiko für den Menschen abzuschätzen. Dem Hormonspezialisten Professor Martin Birkhäuser von der Berner Frauenklinik reicht die Datenlage allerdings aus für ein sofortiges Verbot der Filter. «Das potenzielle Risiko der Substanzen genügt. Sie sind eine Zeitbombe. Man sollte nicht abwarten und sehen, was geschieht.»
Die Gefährdung könnte sogar grösser sein als befürchtet. Demnächst legen die Zürcher Wissenschaftler neue Studien vor. Sie sollen das Risiko für den Menschen verdeutlichen. Dazu untersuchten sie die Nachkommen von Rattenweibchen, die mit dem UV-Filter 4-MBC gefüttert wurden. Der Puls-Tipp weiss schon jetzt: 4-MBC führte bei ihnen zu verkleinerten Hoden. Und: Die Überlebenschancen dieser Tiere sind geringer als normal. «Diese Zwischenresultate lassen nichts Gutes erahnen», sagt Schlumpf. Das konkrete Risiko für den Menschen sei trotzdem noch nicht abschätzbar. Stoffe, die wie Hormone wirken, sind nicht neu. Die Europäische Union hat im Juni 2000 über 550 Substanzen aufgelistet, welche die Fruchtbarkeit beeinträchtigen können. Darunter sind die Insektizide Lindan und DDT, aber auch Polychlorierte Biphenyle (PCBs).
Die neuesten Enthüllungen stürzen viele Konsumenten in ein Dilemma. Zum Beispiel Familienvater Stefan Streit aus Bremgarten BE. «Cremes schützt mich und Kinder vor Sonnenbrand und Hautkrebs. Jetzt verursachen die UV-Filter möglicherweise selbst Krebs. Das ist eine unhaltbare Situation», sagt er. Seine Söhne sind auf die Mittel angewiesen. Samuel, 8, und Benjamin, 3, bekommen schnell Sonnenbrand. Die Haut der zwei Rotschöpfe ist empfindlich, sie können ohne Schutz nur zehn Minuten an die Sonne. Streit: «Über Jahre angewendet, sind diese Cremes nicht gesund. Ich bin unsicher, wie oft wir die Kinder einreiben sollten.» Auf keinen Fall die Creme ganz weglassen und ungeschützt an die Sonne, warnt Hautkrebs-Spezialist und Dermatologe Reinhard Dummer von der Dermatologischen Klinik der Universität Zürich. Die Resultate der Hormon-Studie hält er aber für «Besorgnis erregend».
Langärmlige Shirts und Schatten sind besser
Dummer rät, den Verbrauch der Cremes einzuschränken, indem man sich nicht an die Sonne legt, sich zwischen 11 und 15 Uhr im Schatten aufhält und langärmlige Shirts trägt. Einfach auf Cremes mit anderen chemischen UV-Filtern umzusteigen, ist nicht sinnvoll. Die Toxikologen der Uni Zürich haben von rund 30 Filtern nur gerade 6 getestet. Bei den übrigen ist unklar, ob sie hormonähnlich wirken.
Laut Dermatologe Dummer gibt es aber eine wirksame Alternative: Cremes, die nicht auf chemischen Filtern basieren, sondern die Sonnenstrahlen mittels mineralischen Pigmenten reflektieren. Beispiele sind Zinkoxid und Titanoxid, die unter anderem in MicroSun 20 von Spirig und Avene 25 von Pierre Fabre enthalten sind. Dummer: «Diese Mittel bieten sicheren Schutz.»
Andere Hersteller monieren, diese Cremes liessen sich schlecht auftragen und würden auf dem Körper weisseln. Stimmt nicht. Der Puls-Tipp hat die zwei Titandioxid-Cremes angewendet und praktisch keine Unterschiede festgestellt. In kleineren Portionen punktförmig aufgetragen, kann man sie bestens flächendeckend verstreichen.
Offensiv zeigt sich Weleda. Die Firma hat als Einzige angekündigt, Anfang nächsten Jahres den UV-Filter 4-MBC durch Titandioxid zu ersetzen. «Auslöser war die Zürcher Hormon-Studie. Die Arbeiten laufen seit letzten Herbst auf Hochtouren», erklärt Kosmetik-Entwicklungsleiter Lukas Zängerle.
Bundesrat lässt 15 Millionen für Forschung springen
Weitergehende Forschungen verlangt die Grüne Nationalrätin und Hautärztin Ruth Gonseth. In einer Interpellation forderte sie schon vor einem Jahr den Bundesrat auf, mögliche gesundheitliche Gefahren durch UV-Filter zu prüfen. «Die Datenlage reicht nicht aus, um das Risiko für Mensch und Umwelt ausreichend zu beurteilen», schrieb ihr der Bundesrat in seiner Antwort. Es liege in der Verantwortung der Cremehersteller, die UV-Filter zu verbessern.
Immerhin: Diverse Vorstösse von Gonseth haben bewirkt, dass der Bund nächstes Jahr aus dem Nationalfonds 15 Millionen Franken für die Erforschung von hormonaktiven Substanzen bereitstellt.
Laut Gonseth haben die Hersteller diese Forschung bisher «sträflich vernachlässigt». Sie fordert, alle UV-Filter nochmals standardisiert zu prüfen. Hersteller wie Johnson& Johnson, Weleda oder die Migros-Tochterfirma Mibelle Cosmetics begrüssen dies. «Wenn für alle die gleichen Massstäbe gelten, wären wir mit einem solchen Vorgehen einverstanden», erklärt Mibelle-Entwicklungsleiter Bernhard Irrgang.
Derweil übt sich Familienvater Stefan Streit in Selbsthilfe. Er rüstet seine Kids mit langärmligen T-Shirts aus, die einen integrierten Schutzfilter haben. «In den USA gekauft und modisch dazu. Besser wirkt nur noch der Schatten.»
So reagieren die Hersteller
Der Puls-Tipp konfrontierte die Hersteller mit den Resultaten der Hormon-Studie. Einige Reaktionen:
Louis-Widmer-Geschäftsführer H. J. Furrer sagt, die Wirkungsstärke der hormonähnlichen Substanzen sei viel zu gering, um «mit den Effekten natürlicher Hormone konkurrieren zu können».
«Diese Vorwürfe entbehren jeder Grundlage», sagt Horst Kramer vom Bepanthol-Hersteller Roche.
Die Studie habe ein mögliches Problem aufgezeigt, das «weiter zu untersuchen ist», erklärt Christian Pflugshaupt von der Spirig Pharma AG. Leicht hormonähnliche Eigenschaften hätten auch Naturprodukte wie Soja.
André Voegeli von Sherpa-Hersteller Gaba sagt: «Die eingesetzten Rohstoffe sind eingehend toxikologisch geprüft, bewertet und zugelassen.» Er räumt aber ein, dass «hormonaktive Wirkungen in den Prüfprogrammen nicht erfasst werden».
Weleda erklärt, die Hormon-Studie müsse ernst genommen werden. «Trotz intensiver Forschungsarbeiten ist es bis heute nicht gelungen, eine natürliche Alternative zu chemischen UV-Filtern zu entwickeln.»
So schützen Sie sich vor der Sonne
Wer sich wirksam vor Hautkrebs schützen will, sollte Folgendes beachten:
- Verwenden Sie Sonnencreme mit den mineralischen Reflektoren Titandioxid oder Zinkoxid. Hohe Lichtschutzfaktoren schützen vor Sonnenbrand, dem wichtigsten Auslöser von Hautkrebs.
Je häufiger Sie und Ihre Kinder sich an der Sonne aufhalten, desto mehr Leberflecken bekommen sie. Je mehr Leberflecken jemand hat, desto grösser ist sein Risiko, Hautkrebs zu bekommen.
- Meiden Sie die Sonne in der Mittagszeit (11 bis 15 Uhr). Halten Sie - wie die Südländer - eine Siesta am Schatten. Kleinkinder bis zu einem Jahr gehören immer in den Schatten.
- Schützen Sie sich mit Kleidern, Hut und Brille. Ein weisses T-Shirt genügt nicht: Es hat höchstens den Schutzfaktor 10 und lässt die gefährlichen UV-A- und -B-Strahlen durch. Ist es nass, sinkt der Schutzfaktor fast auf null. Tragen Sie dicht gewobene, dunkle, aber leichte und bequeme Stoffe.
Für spezielle UV-Kleider, wie sie in Australien üblich sind, gibt es nur wenig Bezugsquellen. Die Migros verkauft spezielle U.V.P.-Badeanzüge und T-Shirts mit integriertem Schutzfilter. UV-Wasser-Shirts sowie sonnenschützende Shorts, Hemden und Beach-Kleider (teils aus Australien) sind zudem auch über Versandhandel erhältlich bei: Jako-O-Kindersachen, Schinznach, Telefon 056 463 60 90, Internet: http://www.jako-o.ch
Geckoline Sportswear GmbH, Andechs (D), Internet: www.geckoline.com