Da griff selbst die nüchterne «Neue Zürcher Zeitung» zum Superlativ: Der Eingriff sei «der bedeutendste Fortschritt seit Einführung der Blutdruckmittel», ja sogar «der heilige Gral» in der Behandlung des Blutdrucks. Ärzte sollten die neue Operationsmethode dann einsetzen, wenn sie trotz Medikamenten den Blutdruck eines Patienten nicht senken können.
Für den Eingriff macht der Arzt einen kleinen Schnitt in der Leiste und führt dort einen Katheter ein. Diesen schiebt er bis zu der Arterie vor, die die Niere mit Blut versorgt. Mit Hitze verödet er an der Aussenwand der Nierenarterie bestimmte Nerven.
Die Prozedur soll das Stress-Nervensystem und damit den Blutdruck dämpfen. Schon länger ist bekannt, dass dieser Teil des Nervensystems den Blutdruck ansteigen lässt. Das Veröden kostet in einem Schweizer Spital knapp 4000 Franken. Die Grundversicherung übernimmt die Kosten nicht.
Zwar lieferten erste Studien Ergebnisse, die die Ärzte staunen liessen: Um rund 30 mm Hg sank der Blutdruck der Patienten. Weil die Methode als technisch einfach gilt, haben viele Spitäler in den letzten Jahren begonnen, sie anzuwenden.
«Ein Lehrstück der Medizin»
Doch eine neue Studie im renommierten «New England Journal of Medicine» kommt jetzt zu einem ganz anderen Schluss. Sie ist mit 535 Teilnehmern die bisher grösste Studie zu diesem Eingriff. Die Forscher teilten die Teilnehmer per Los in zwei Gruppen ein: Bei der einen Gruppe verödeten sie die Nerven, bei der anderen täuschten sie den Eingriff nur vor. Das Ergebnis war ernüchternd: Das Veröden senkte den Blutdruck nicht besser als der Scheineingriff.
Für Christian Sticherling, Professor für Herzmedizin am Unispital Basel, ist das Veröden «ein Lehrstück dafür, wie in der Medizin eine neue Therapie sehr rasch breit angewendet wird, ohne dass ausreichende Beweise für den Nutzen vorliegen». Denn die damaligen Studien seien sehr klein gewesen und hätten insgesamt nur gerade 260 Patienten umfasst. Zudem hätten sie methodische Mängel gehabt. Den guten ersten Resultaten hätten Ärzte misstrauen müssen, sagt Sticherling: «Wenn in der Medizin Ergebnisse zu gut sind, um wahr zu sein, dann sind sie meist auch nicht wahr.»
Doch auch die Hersteller der Katheter seien verantwortlich, dass sich die Behandlung rasch verbreitet habe: «Sie machten intensiv bei Ärzten Werbung.» Auch bei ihm seien viele Hersteller vorstellig geworden. Sticherling: «Letztes Jahr waren nicht weniger als sieben Firmenvertreter bei mir, die mir ihre neuen Katheter für diesen Eingriff zeigen wollten.»
Operationstechniken ohne Zulassung
Grundsätzlich gilt: Das Gesetz schützt die Patienten nicht vor experimentellen Methoden. Operationstechniken brauchen keine Zulassung von den Behörden, bevor Ärzte sie anwenden dürfen. Einzig eine CE-Zertifizierung für Geräte ist nötig. Doch diese sagt nichts darüber aus, ob die Methode auch wirkt. Paul Erne, Herzspezialist an der Klinik St. Anna in Luzern, sagt: «Würde es sich bei der Methode um ein Medikament handeln, wäre sie viel besser untersucht worden, bevor man sie eingesetzt hätte.»
Der wichtigste Hersteller von Kathetern zum Veröden ist die Firma Medtronic. Sie schreibt dem Gesundheitstipp, die neue Studie erlaube es nicht, «die Therapie endgültig zu beurteilen». Denn die Patienten seien nur sechs Monate nach dem Eingriff beurteilt worden. Es sei geplant, sie während fünf Jahren weiter zu beobachten. Zudem seien andere Studien im Gang. Man habe auch nicht intensiv Werbung gemacht für die Methode, so die Firma weiter: Vielmehr sei sie «ohne unser Dazutun in zahlreichen Medienberichten als vielversprechende Therapie beschrieben worden.» Die Firma gibt sich zuversichtlich: «Etliche Medikamente, die Ärzte heute routinemässig einsetzen, hatten in der Studienphase ursprünglich das Ziel verfehlt.»
Auch Fachleute sagen, man solle die Methode jetzt nicht ganz abschreiben. Vielleicht, so Sticherling, stelle sich mit der Zeit heraus, dass sie bei einer ganz bestimmten Gruppe von Patienten sinnvoll sei. «Aber bis das geklärt ist, sollte man die Methode nur noch im Rahmen von Studien einsetzen.»
Ohnehin kommt das Veröden erst dann in Frage, wenn eine Kombination von Medikamenten den Blutdruck nicht genügend senken kann. Laut Schätzungen ist dies nur bei jedem zehnten Patienten der Fall.
Ärzte empfehlen Menschen mit zu hohem Blutdruck in erster Linie einen gesünderen Lebensstil: eine Ernährung mit viel Früchten und Gemüse und wenig Salz sowie Ausdauersport. Raucher sollten auf den Glimmstängel verzichten, Übergewichtige abspecken.
Ein zu hoher Blutdruck lässt das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall ansteigen. Ob es sinnvoll ist, ihn mit Medikamenten zu senken, hängt auch davon ab, welche anderen Risiken ein Patient hat. Dazu zählt das Alter, das Rauchen und die Vererbung – also ob Eltern, Grosseltern oder Geschwister in jungen Jahren einen Herzinfarkt hatten.
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