Der deutsche Modeschöpfer Harald Glööckler liebt den schrillen Auftritt. Vor Weihnachten liess er sich im Jumbo-Markt in Dietlikon ZH von seinen Fans feiern – stark geschminkt, in einem goldenen Anzug, auf einem goldenen Thron sitzend. Menschen wie Glööckler, die durch ihre extravagante, selbstverliebte Erscheinung auffallen, bezeichnet man als Narzissten.
Die Freude an der Selbstdarstellung ist an sich nichts Schlechtes. Doch krankhaft übersteigerter Narzissmus ist eine schwere Belastung für die Betroffenen und ihre Umgebung. Thomas Knecht, leitender Arzt am psychiatrischen Zentrum Appenzell Ausserrhoden, erklärt: «Narzissmus zeigt sich in einem herzlosen, entwertenden und ausbeutenden Umgang mit anderen Menschen.»
Gabriela Winter (Name geändert) hat Erfahrungen mit einem solchen Chef. «Er war überzeugt, er sei absolut der Grösste», erinnert sich die Journalistin. «Er erwartete von den Mitarbeitern, dass alle ihm bestätigten, der Beste zu sein. Wer das nicht tat, war schnell weg vom Fenster.» Kritik habe der Chef nicht akzeptiert. Er habe Mitarbeiter von oben herab behandelt, sich über sie sogar lustig gemacht. Nach zwei Jahren hatte Winter genug. Sie suchte einen neuen Job und ging. «Sonst hätte ich meine Selbstachtung verloren.»
Weil sie so von sich selbst überzeugt sind, schaffen es Narzissten oft in Chefpositionen. Das bestätigt eine 2008 in der Fachzeitschrift «Personal and Social Psychology Bulletin» publizierte Studie der US-Psychologin Amy Brunell. Sie führte ein Experiment mit über 400 Studenten durch. Zuerst liess sie die Studenten einen Persönlichkeitstest ausfüllen. Anschliessend diskutierten die Versuchsteilnehmer in Viererteams, wer Präsident einer Studentengewerkschaft werden soll. Bei diesem Versuch zeigte sich, dass narzisstische Teilnehmer öfter als andere zum Anführer der Gruppe wurden.
Heutige Generation hat weniger Mitgefühl
Narzissmus ist eine seelische Störung, die immer häufiger auftritt. Das zeigt eine grosse Übersichtsstudie, die vor drei Jahren in der Fachzeitschrift «Personality and Social Psychology Review» veröffentlicht wurde. Die Psychologin Sara H. Konrath von der US-Universität Michigan fand heraus, dass Studenten heute weniger Mitgefühl für andere Menschen zeigen als die vorherige Generation. Konrath hatte die Resultate der Psychotests von 14 000 College-Studenten aus den Jahren 1979 bis 2009 miteinander verglichen. Die Psychologin vermutet, die Gründe dafür könnten im stärkeren Konkurrenzkampf im Berufsleben liegen und in der Nutzung von Online-Medien, die die Vereinzelung förderten.
Gegen einen narzisstischen Chef kann man wenig ausrichten. Thomas Knecht sagt: «Da hilft nur Galgenhumor oder ein Stellenwechsel.» Kritik wirke hingegen «völlig kontraproduktiv». Der narzisstische Chef reagiere darauf gekränkt und mit Hass.
Auch das Zusammenarbeiten mit einem narzisstischen Geschäftspartner ist schwierig. Das musste Ursula Eberhard (Name geändert) erfahren. Die Fotografin arbeitet in einer Bürogemeinschaft mit einem narzisstischen Kollegen. Es gab schwere Konflikte, zweimal musste sogar die Polizei kommen.
Die Ursachen für narzisstisches Verhalten sehen Psychologen in der Kindheit. Die Psychologin Ruth Enzler aus Zollikon ZH sagt: «Oft sind Narzissten in der Kindheit zu kurz gekommen.» Sie haben deshalb ein schwaches Selbstwertgefühl, das sie mit ihrem übertriebenen Hunger nach Bewunderung ausgleichen wollen.
Auch im Privatleben führt Narzissmus zu Problemen. Theres Niederberger (Name geändert) erlitt vor zwei Jahren einen Nervenzusammenbruch. Die Ehe mit einem narzisstischen Mann habe sie traumatisiert, sagt sie: «Wenn Freunde uns besuchten, hat er nur über sich und über seine Erfolge geredet.» Von ihr habe er erwartet, dass sie ihn uneingeschränkt bewundere. Als sie nicht mehr dazu bereit war, habe er sie «weggeworfen».
Typisch für einen narzisstischen Ehemann sei, dass er nichts in die Qualität der Beziehung investieren wolle, sagt Psychiater Knecht: «Er entwertet die Partnerin zur Statistin.» Deshalb sei es wichtig, sich viel Zeit zu nehmen, bevor man sich bindet, um einen möglichen Partner gut kennenzulernen. Wenn man fest liiert sei, gebe es kaum Hoffnung auf Besserung.
Für Enzler ist die Trennung jedoch nicht der einzige Weg: «Nicht alle Narzissten sind so schwer gestört, dass sie sich nicht ändern wollen.» Auch Ursula Eberhard entschied sich, mit ihrem Arbeits- und Wohnpartner zusammenzubleiben. «Ich konnte ihn überzeugen, an sich zu arbeiten», sagt sie. «Das finde ich gut.»
Tipps: So schützen Sie sich vor Narzissten
Am Arbeitsplatz:
- Suchen Sie die Schuld nicht bei sich selbst, wenn ein Narzisst Sie immer wieder abwertet.
- Verzichten Sie auf direkte Konfrontationen. Narzissten reagieren darauf aggressiv.
- Wehren Sie sich jedoch, wenn Sie von einem Narzissten gemobbt werden.
- Bei extremen Narzissten hilft nur ein Stellenwechsel.
In der Partnerschaft:
- Lassen Sie sich viel Zeit bei der Partnerwahl. Narzissmus erkennen Sie nicht sofort.
- Erkennen Sie, dass der Narzisst ein schwaches Selbstwertgefühl hat.
- Loben Sie den Narzissten ab und zu, denn er ist süchtig danach.
- Überlassen Sie dem Narzissten ein Gebiet, auf dem er einen Vorsprung hat. Das tut ihm gut.
Narzissmus-Selbsttest: www.psychotherapiepraxis.at/surveys/test_psychopathie.phtml
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«Er brüllte herum und griff mich an»
Das Zusammenarbeiten mit einem Narzissten ist oft schwierig. Ursula Eberhard und André Beutler (Namen geändert) haben vor zehn Jahren ein Pressebüro gegründet. Sie wohnen auch zusammen, sind aber kein Paar. Psychologen haben bei André Beutler narzisstische Züge festgestellt. Dies führte zu Konflikten mit seiner Wohn- und Arbeitspartnerin. Die beiden berichten aus ihrer eigenen Sicht.
André Beutler, 39
«Vor zehn Jahren eröffnete ich zusammen mit Ursula ein Büro für Presse- und Reportagefotografie. Um Kosten zu sparen, leben wir auch zusammen in einer Wohngemeinschaft. Da ich auf die beruflichen Erfolge meiner Partnerin neidisch war, begann ich sie zu mobben. Ich meckerte oft an ihrer Arbeit herum und stellte sie vor anderen Leuten bloss. Als sie mich dafür kritisierte, rastete ich aus. Doch sie liess sich diese Ausfälle nicht kommentarlos gefallen. Deshalb eskalierte der Konflikt, bis die Polizei kam.
Finanzielle Probleme im Geschäft belasteten unser Verhältnis zusätzlich. Mit Ursula redete ich nicht darüber. Plötzlich meldete sich das Betreibungsamt. Das war hart. Aber ohne diese Erfahrung hätte ich meine Probleme noch länger verdrängt.
Ursula konnte mich überzeugen, Hilfe bei Psychologen zu suchen. Die Fachleute sagten mir, dass ich an ‹Soziopathie mit narzisstischen Zügen› leide. Es fällt mir schwer, mich in andere Menschen hineinzuversetzen und Mitgefühl zu zeigen. Mir wurde bewusst, dass die Gründe für mein Verhalten in meiner Kindheit liegen. Meine Eltern interessierten sich wenig für meine Bedürfnisse und schoben mich in andere Familien ab. Mein Vater war oft gewalttätig. Das war traumatisch.
Lange war ich überzeugt, dass ich kein Problem hatte. Ich schob die Schuld für Konflikte anderen zu. Die Psychotherapie und lange Gespräche mit Ursula machten mir klar, dass das Problem bei mir liegt, weil ich immer in die gleichen Verhaltensmuster zurückfalle. Wenn wir Streit haben, ist das für Ursua sehr anstrengend. Ich bin ihr dankbar, dass sie mir geholfen hat, an mir zu arbeiten.»
Ursula Eberhard, 53
«Ich lernte André vor dreizehn Jahren kennen. Damals wusste ich nicht, was Narzissmus ist. Solange keine Konflikte da sind, merkt man nicht, ob jemand eine narzisstische Störung hat. Mit der Zeit fiel mir auf, dass er kaum Mitgefühl zeigte, wenn mich etwas bedrückte oder nervte.
Zudem gab es je länger, je mehr Probleme bei der Zusammenarbeit. Er kritisierte meine Arbeit und sagte hinter meinem Rücken Aufträge ab, die ich gerne übernommen hätte. Ich hörte, wie er Kunden am Telefon sagte, ich wäre nicht da oder ich sei anderweitig gebucht. Er liess mich die ganze Hausarbeit alleine machen und schnauzte mich dann noch an, wieso ich nicht mehr fotografieren würde. Die Büroarbeit hatte er auch nicht im Griff. Plötzlich kamen Betreibungen. Später wurde mir der Grund für die finanziellen Probleme klar: Ein Narzisst will sich immer nur von seiner besten Seite zeigen. Er geht Konflikten aus dem Weg, indem er Probleme verdrängt.
Als ich ihn mit seinem destruktiven Verhalten konfrontierte, reagierte er aggressiv. Er brüllte herum und griff mich tätlich an. Doch ich wehrte mich und nahm ihn in den Schwitzkasten. Zweimal kam die Polizei, weil es mir nicht gelang, ihn zur Ruhe zu bringen.
Trotz der Konflikte arbeiten und wohnen wir weiterhin zusammen. Denn ich konnte André dazu bewegen, an sich zu arbeiten. Weil das Büro uns beiden gehört, können wir die finanziellen und juristischen Probleme nur gemeinsam lösen. Klar bin ich manchmal sauer auf ihn. Nachdem ich viel über Narzissmus gelesen und lange mit ihm gesprochen habe, wurde mir klar, dass André nichts für seine Probleme kann.»