Es klingt bedrohlich: «Starke Zunahme von Hautkrebs», schreibt die Schweizerische Gesellschaft für Dermatologie auf der Website Melanoma.ch. Der Krebs sei «enorm häufig» geworden, gar eine «Volkskrankheit». Er ende jedes Jahr für mehrere Hundert Personen tödlich.
Tatsächlich stieg die Zahl der Diagnosen in den letzten Jahrzehnten: 1988 stellten Ärzte bei rund 16 von 100 000 Menschen in der Schweiz ein Melanom fest – 2017 bei fast doppelt so vielen (siehe Grafik im PDF). In den USA sind es gar sechs Mal so viele Fälle wie vor 40 Jahren.
Doch die Zahlen trügen, sagen Experten. Der Grund: Ärzte würden die Diagnose viel zu oft stellen. Zu diesem Schluss kam kürzlich auch der amerikanische Krebsforscher Gilbert Welch im renommierten Fachblatt «New England Journal of Medicine». Laut Welch handle es sich um eine «Epidemie der Diagnosen». Das tatsächliche Risiko, an einem gefährlichen schwarzen Hautkrebs zu erkranken, sei nicht gestiegen. Das bestätigt der Arzt und klinische Epidemiologe Johannes G. Schmidt aus Einsiedeln SZ: «Das ist auch in der Schweiz so.» Auch hier hat sich die Sterblichkeitsrate in den letzten Jahrzehnten kaum verändert.
Mehr Diagnosen wegen Krebskampagnen
Der Grund für die unnützen Diagnosen seien vor allem die Kampagnen gegen Hautkrebs. Jahr für Jahr rufen Hautärzte dazu auf, sich die Muttermale überprüfen zu lassen. Bei solchen Checks entdeckt man vor allem frühe Stadien des Hautkrebses. Ob diese Fälle je zu einer Gefahr werden, lässt sich nicht feststellen. Schmidt: «Auch wenn man bösartige Zellen findet, bedeutet das noch lange nicht einen bösartigen Verlauf.» Oft werde der Hautkrebs nie zu einem Problem. Er habe keine Beschwerden ausgelöst, keine Ableger in anderen Organen gebildet und das Leben nicht verkürzt. Ohne regelmässige Hautchecks blieben diese Melanome unentdeckt.
Eine Diagnose, so Johannes G. Schmidt, habe in solchen Fällen keinerlei Vorteile, aber ernsthafte Nachteile: Betroffene müssen unnötige Therapien über sich ergehen lassen. Ärzte schneiden das Muttermal heraus. Es kann danach zu Infektionen und Narben kommen. Zudem verursacht die vermeintliche Krebsdiagnose unnötig Angst.
Die Kampagnen gegen Hautkrebs sind aber nicht der einzige Grund für die steigende Zahl unnützer Diagnosen. Krebsforscher Gilbert Welch kritisiert auch die Pathologen. Diese untersuchen im Labor die Proben verdächtiger Muttermale. Laut Krebsforscher Welch würden Pathologen heute eine unklare Veränderung schneller als Melanom charakterisieren als früher. Das zeigte eine kleine Studie der Harvard Medical School in Boston (USA). Dabei mussten Pathologen dieselben 40 Hautproben beurteilen, und zwar vor 20 Jahren und heute. Vor 20 Jahren schätzten die Pathologen 11 Proben als bösartige Melanome ein – heute waren es 18 Proben. Das Problem: Oft lassen sich die Veränderungen gar nicht klar als gut- oder bösartig beurteilen. Auch der Dermatopathologe Heinz Kutzner aus Friedrichshafen (D) schreibt im «Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft», dass die «teilweise subjektive» Interpretation der Hautproben zu falschen Krebsdiagnosen und damit zu unnötigen Therapien führe.
Regelmässige Checks bei heller Haut sinnvoll
Eine Übersichtsstudie des unabhängigen Forschernetzwerks Cochrane kam zum Schluss, dass die Massentests auf Hautkrebs nichts nützen. Hautarzt Severin Läuchli vom Universitätsspital Zürich rät nur Personen mit hohem Risiko zu einer regelmässigen Kontrolle beim Hautarzt. Zum Beispiel bei einem sehr hellen Hauttyp oder mehr als 100 Muttermalen am Körper. Sinnvoll sei der Check auch, wenn in der Familie bereits Hautkrebs aufgetreten ist. Allen andern empfiehlt Läuchli: «Vermeiden Sie Sonnenbrand.» Zudem sollte man die Muttermale selber im Auge behalten. Hat sich eines in Form oder Farbe verändert, ist ein Besuch beim Arzt angezeigt.
Ihre Kampagnen gegen Hautkrebs seien «mitnichten dazu da, Panik zu verbreiten», schreibt die Schweizerische Gesellschaft für Dermatologie. Ihr Ziel sei, über geeigneten Sonnenschutz zu informieren und Empfehlungen zu geben, wie man die Haut selbst untersuchen kann, um verdächtige Veränderungen frühzeitig festzustellen. Nicht nur das Melanom, sondern auch andere Hauttumore könnten ernsthafte Folgen haben, wenn man sie nicht rechtzeitig erkenne.
Sonnenbrand in der Kindheit gefährlich
Das Risiko für schwarzen Hautkrebs hängt nur wenig von der Menge an UV-Strahlen ab. Eine Gefahr sind aber Sonnenbrände – vor allem in der Kindheit. So schützen Sie sich und Ihr Kind:
- Bleiben Sie über die Mittagszeit von 11 bis 16 Uhr im Haus oder im Schatten.
- Verzichten Sie auf langes Sonnenbaden – auch wenn Sie Sonnencreme verwenden.
- Bleiben Sie am Strand oder in der Badi im Schatten oder unter dem Sonnenschirm.
- Vertrauen Sie nicht auf wasserfeste Sonnencremes. Nach dem Baden schützen diese kaum noch. Sie müssen sich erneut eincremen («Saldo» 11/2020).
- Schützen Sie Babys und Kleinkinder besonders gut mit langärmligen Kleidern, Sonnenhut und Sonnencreme.
- Eine zuverlässige Aussage über den UV-Schutz von Textilien gibt der UPF-Wert nach UV-Standard 801. Ein Wert von 20 heisst, dass man 20 Mal so lange vor Sonnenbrand geschützt ist wie ohne.
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