Wenn ich am Morgen aufwache, sind meine Beine ganz steif. Ich setze mich auf und halte mich an der Bettkante fest, bis ich das Gleichgewicht finde und die Beine beugen kann. Erst nach einer Viertelstunde kann ich aufstehen.
Früher war ich fit und sportlich: Ich machte lange Wanderungen, im Winter ging ich Ski fahren. Meine Frau merkte als Erste, dass etwas nicht mehr stimmte. Beim Wandern bekam ich Mühe auf unebenen Wegen. Die Beine fühlten sich schwach an und ich wurde schnell müde. Auch zu Hause brauchte ich plötzlich für alles doppelt so lang. Mein Hausarzt schickte mich zum Neurologen. Er stellte die Diagnose Polyneuropathie. Erschrocken bin ich nicht: Ich wusste, dass ich als Diabetespatient besonders gefährdet bin, diese Krankheit zu bekommen.
Heute kann ich nicht mehr Ski fahren. Auch längere Wanderungen liegen nicht mehr drin. Nach einer Stunde bin ich schlicht zu müde. Wenn ich wandern gehe, fahre ich eine Teilstrecke mit dem Postauto. Weil mein Gang unsicher ist, nehme ich Stöcke. Das alles braucht viel Geduld. Es ärgert mich manchmal schon, dass ich mich nicht mehr so bewegen kann wie früher. Aber ich kann damit leben. Es tröstet mich, dass Polyneuropathie viel schlimmer sein kann als bei mir. Ich kenne Betroffene, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Andere haben fast unerträgliche Schmerzen.
Die Störungen kommen schleichend. Es macht mir grosse Mühe, mich zu bücken und aufzurichten. Sehr anstrengend ist es auch, wenn ich lange stehen muss. Deshalb sitze ich bei jeder Gelegenheit, auch beim Kochen. Seit kurzem habe ich zudem mit der Feinmotorik Probleme. Es fällt mir zum Beispiel schwer, einen Schraubenzieher zu steuern.
Ich weiss, dass sich meine Beweglichkeit weiter verschlechtern kann. Darüber denke ich aber nicht nach. Meine Frau macht sich viel mehr Sorgen um meine Zukunft. Ich bin ein optimistischer Mensch und lebe in der Gegenwart. Zwei- bis dreimal wöchentlich stärke ich meine Muskeln im Fitnesscenter. Oft muss ich mich dazu überwinden. Es lohnt sich aber, weil ich dann wieder mehr Ausdauer beim Gehen habe. Im Sommer halte ich mich mit Schwimmen fit. Ich hoffe, dass ich weiterhin viel reisen kann. Das mache ich oft und gerne. Die Fotos zeige ich jeweils an einer Versammlung des Ortsvereins.
Polyneuropathie: Geschädigte Nerven
Bei der Polyneuropathie sind die Nerven an den Armen, Beinen oder dann am ganzen Körper geschädigt. Sie haben Schwierigkeiten, Nachrichten zwischen Gehirn und Rückenmark hin- und her zu leiten.
Betroffene leiden oft unter Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen. Diffuse Symptome wie Kribbeln und Taubheitsgefühl in Armen und Beinen, Schweissausbrüche sowie Blasen- und Darmprobleme schränken die Lebensqualität massiv ein. Die Symptome können je nach betroffener Körperregion unterschiedlich sein. Man spricht von sensibler, motorischer oder gemischt sensibel-motorischer Polyneuropathie – je nachdem, welche Funktionen der Nerven betroffen sind.
Die Nervenkrankheit kann verschiedene Ursachen haben. Besonders gefährdet sind Diabetespatienten und Alkoholkranke. Eine zufriedenstellende Therapie gibt es nicht. Mit Medikamenten, Gymnastik und Elektrobehandlung können Patienten ihre Beschwerden etwas lindern.
Informationen
Selbsthilfe Schweiz, Laufenstrasse 12, 4053 Basel, Tel. 061 333 86 01,www.selbsthilfeschweiz.ch