Die Szene: Der zweite Stock der Buchhandlung Orell Füssli in Zürich. Es ist ein kühler Winterabend. Handleserin Barbara Vassalli sitzt an einem Bistrotisch. Die Veranstaltung soll Kunden in die Buchhandlung locken. Einer davon ist Alexander Corten aus Baar ZG. Von der Handanalytikerin möchte der 20-Jährige wissen, wie er mehr Selbstvertrauen bekommt. Sie schaut seine Hände mit einer Lupe an. Dann sagt sie dem jungen Mann: «Sie fordern viel von sich, sind sehr diszipliniert.» Vassalli empfiehlt ihm, sich mehr Musse und Entspannung zu gönnen. Einer Kundin machen Beziehungsprobleme zu schaffen. Die Handleserin empfiehlt ihr, aufs «Bauchgefühl» zu hören: «Investieren Sie mehr in die Beziehung, wenn es sich gut anfühlt.»
Verstärkte Suizidgedanken
Dutzende Handleser bieten in der Schweiz ihre Dienste an. Sie behaupten, sie könnten dank der Analyse der Hände bei Lebenskrisen helfen. Die Diagnose stützen sie vor allem auf den Verlauf der Handlinien und der Fingerabdrücke. Beides soll Aufschluss über das Gefühlsleben und die geistigen Fähigkeiten ermöglichen. Die Preise sind happig: Eine 60-minütige Sitzung kostet 150 bis 190 Franken. Diese Tarife seien mit denen von Psychotherapeuten vergleichbar, sagt Yvik Adler, Co-Präsidentin der Föderation der Schweizer Psychologen: «Psychotherapeuten haben aber ein Studium und oft eine jahrelange Weiterbildung absolviert.» Kurse zum Handlesen dauern im besten Fall wenige Wochen.
Christoph Flückiger, Forscher am Psychologischen Institut der Uni Zürich, wirft den Handlesern vor, sie würden ihre Klienten «mit schnellen Einschätzungen abstempeln». Negative Aussagen könnten seelisch wenig stabile Personen stark belasten und im Extremfall Suizidgedanken verstärken. «Ich habe mehrere Personen betreut», sagt Flückiger, «die durch fragwürdige Einschätzungen massive psychische Probleme bekamen.»
«Viele Aussagen treffen auf jedermann zu»
Yvik Adler sagt, es gebe keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass man aufgrund der Hände auf die Persönlichkeit schliessen könne. Zwar zeigten Studien der Universitäten Alberta (Kanada) und Wien (A), dass Männer mit kurzen Zeigefingern stärker zu Gewalt und Seitensprüngen neigen. Daraus könne man keine Aussagen über einzelne Personen ableiten, ergänzt Flückiger.
Georg O. Schmid, Leiter der Informationsstelle Relinfo, kritisiert, dass Handleser willkürlich Charaktereigenschaften auswählen, die am ehesten auf den Kunden zutreffen. Zudem seien viele Aussagen so allgemein gehalten, dass sie auf fast jede Person zutreffen.
Handleserin Vassalli sagt, sie mache sehr präzise Aussagen und sei sich ihrer «enormen Verantwortung» bewusst. Seriöse Handanalytiker würden eine «mindestens dreijährige Ausbildung» durchlaufen und sich danach «stetig» weiterbilden.
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