Auf Ihrer Website steht, jeder Tausendste in der Schweiz habe ein Kunstauge. Ist diese Zahl nicht etwas übertrieben?
Es gibt keine Statistik dazu, das ist nur eine Schätzung. Vielleicht ist die Zahl zu hoch. Denn heute brauchen immer weniger ein Kunstauge.
Weil die Medizin Fortschritte macht?
Das auch. Es gibt aber auch weniger Arbeitsunfälle, weil die Sicherheitsvorkehrungen besser sind. Ein Unfall ist allerdings nicht der einzige Grund für ein Kunstauge. Manche haben auch einen Tumor, der das Auge zu stark schädigte.
Es gibt Kunstaugen aus Glas und solche aus Kunststoff. Was würden Sie wählen?
Ein Auge aus Kunststoff. Es geht nicht kaputt, wenn es beim Reinigen herunterfällt, und kühlt nicht aus bei tiefen Temperaturen wie ein Glasauge. Kälte in der Augenhöhle empfinden viele als unangenehm.
Wieso entscheidet man sich denn für ein Glasauge?
Weil sie glatter sind und sich die Tränenflüssigkeit besser darauf verteilt. Deshalb empfinden sie manche als bequemer. Glasaugen werden aber nur noch bei uns in der Schweiz, in Deutschland und in Skandinavien hergestellt. Weltweit gibt es fast nur noch Kunststoffaugen.
Diese halten auch länger.
Ja, Kunststoffaugen halten fünf Jahre, Glasaugen nur ein Jahr. Unter dem Strich sind die Kosten aber etwa gleich hoch: Fünf Glasaugen kosten so viel wie ein Kunststoffauge.
Wie pflegt man Kunstaugen?
Wir empfehlen, Kunstaugen zweimal pro Woche herauszunehmen und zu reinigen. Gewisse Patienten reinigen sie aber nur einmal im Monat. Kunststoffaugen sollte man zudem jährlich aufpolieren lassen.
Dann schlafen Ihre Patienten mit dem Kunstauge?
Ja. Die meisten schlafen mit dem Kunstauge, weil es bequemer ist. Ein gut angepasstes Kunstauge erkennt man auch daran, dass der Träger es vergessen kann. Er spürt es nicht mehr.
Wie haben Sie das Handwerk des Okularisten gelernt?
Das Verarbeiten von Kunststoff lernte ich in der Zahntechnikerlehre, das Glasblasen von meinem Vater. Ich habe ihm bereits als Kind dabei zugesehen und musste nur noch üben. In der Schweiz gibt es keine Ausbildung zum Okularisten, der Markt ist viel zu klein. Wir sind nur drei Kunstaugeninstitute. In Deutschland dauert die Ausbildung acht Jahre.
Was ist das Schwierigste am Handwerk?
Das Zeichnen der Iris mit all ihren Farbnuancen. Ich setze mich auch unter Druck. Wenn mir ein Auge gut gelungen ist, möchte ich es das nächste Mal genauso gut machen.
Was mögen Sie an Ihrem Beruf?
Das Coolste ist, wenn ich einer Person das Kunstauge zum ersten Mal einsetze, ihr den Spiegel reiche und sehe, wie sehr sie sich freut!
Zur Person
Friedrich Martin arbeitet seit zwölf Jahren und in sechster Generation im Kunstaugeninstitut seiner Familie. Er ist 35 Jahre alt und lebt in Luzern.