Vor einigen Monaten hatte Ilse Schwab (79) aus Bauma ZH einen Termin bei der Dentalhygienikerin. Etwas war neu: Am Telefon sagte man ihr, sie müsse dann vor der Behandlung mit verdünntem Wasserstoffperoxid gurgeln, um Coronaviren im Mund abzutöten. «Ich hatte Angst, dass mir das die Schleimhäute verätzt», erzählt Schwab. Sie sagte den Termin wieder ab. Wasserstoffperoxid verwendet man zum Bleichen von Haaren, in verdünnter Form auch als Desinfektionsmittel.
Die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft SSO empfahl das Gurgeln mit verdünntem Wasserstoffperoxid bis vor kurzem explizit in ihrem Corona-Schutzkonzept. Eine Umfrage der SSO bei rund 800 Zahnärzten zeigte: Zwei von drei Zahnärzten liessen ihre Patienten mit verdünntem Wasserstoffperoxid gurgeln. Doch die Massnahme ist umstritten. Der renommierte Zahnmediziner Adrian Lussi von der Universität Bern sagt: «Wasserstoffperoxid wirkt nicht gegen Coronaviren.» Das konnte er vor Kurzem in einer Laborstudie mit dem Institut für Virologie in Tübingen (D) nachweisen. Die Studie erschien im Fachmagazin «Microorganisms». Kürzlich berichtete auch die unabhängige Website Medizin-transparent.at, es sei nicht erwiesen, dass Wasserstoffperoxid gegen das Virus wirke. Die Internetseite ist ein Projekt des Forschernetzwerkes Cochrane Österreich sowie der Donau-Universität Krems. Sie analysierten dafür mehrere Studien.
Geschmacksstörungen und Schmerzen
Ausserdem ist unklar, ob das Gurgeln womöglich schadet. Die Ärztin Jana Meixner von der Donau-Universität schreibt auf Medizin-transparent.at, es sei «denkbar», dass die Lösung die Rachenschleimhaut angreife: Diese wäre dann noch anfälliger für Viren. Ausserdem gibt es Hinweise darauf, dass wiederholtes Gurgeln mit Wasserstoffperoxid zu Schmerzen und Geschmacksstörungen führen kann.
In Studien wurden zwar andere Mundspüllösungen getestet und festgestellt, dass sie gegen Coronaviren wirkten – aber nur im Reagenzglas. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser empfiehlt ganz einfach das Spülen mit Wasser. «Das reicht und hat keine Nebenwirkungen.»
Die Zahnärzte-Gesellschaft ist inzwischen zurückgekrebst. Sprecher Benjamin Fröhlich schreibt dem Gesundheitstipp, die Gesellschaft sei sich bewusst, dass «keine wissenschaftliche Evidenz» bestehe, dass Mundspüllösungen gegen eine Infektion mit dem Coronavirus wirken würden. Deshalb sei der Hinweis auf das Gurgeln mit einer Mundspüllösung «nicht eine richtige Empfehlung», sondern nur ein Vorschlag. Ausserdem sei Wasserstoffperoxid neu in der Empfehlung für Zahnärzte nicht mehr explizit erwähnt. Ob und was gegurgelt werden muss, entscheidet jeder Zahnarzt selbst.