Der grüne Star ist gefürchtet: Die Krankheit schädigt den Sehnerv zunehmend, im schlimmsten Fall erblinden die Betroffenen. Häufig haben Patienten einen erhöhten Druck im Auge, weil sich zu viel Kammerwasser bildet. Die schweizerische Ärztegesellschaft für Ophtalmologie schätzt, dass 2 bis 3 von 100 Personen daran leiden. Viele davon merken es nicht, bevor die ersten Schäden da sind. Kein Wunder, empfiehlt die Ärztevereinigung, man solle sich ab 40 regelmässig untersuchen lassen. Dabei misst der Arzt in der Regel mit einem Luftstrahl den Innendruck des Auges und überprüft mit einem Gerät, ob sich die Netzhaut verändert hat.
«Man weiss nicht, ob es einen Nutzen gibt»
Doch wie viel solche Vorsorgeuntersuche bringen, ist weniger klar, als viele Augenärzte ihren Patienten weismachen wollen. Der deutsche «Igel-Monitor», der im Auftrag der deutschen Krankenkassen Therapien und Untersuchungen prüft, kam vor wenigen Wochen zu folgendem Schluss: «Man weiss nicht, ob es einen Nutzen gibt.» Es existierten keine Studien, die belegen, dass diese Untersuchungen «wirklich die Sehkraft der Patienten» erhalten könnten. Und man wisse nicht, «wie gross und häufig die Schäden sind». Dazu gehören zum Beispiel gereizte Augen und leichte Schürfungen auf der Hornhaut. Aufgrund fehlender Studien falle die Bilanz «tendenziell negativ» aus, schreibt «Igel-Monitor».
Vorsorgetest: «Schlechte Treffsicherheit»
Das Problem: Der grüne Star ist eine ungeklärte Krankheit. In vielen Fällen ist zwar ein erhöhter Augendruck die Ursache – aber nicht immer. Selim Orgül, Chefarzt am Unispital Basel, sagt, dass Letzteres sogar bei fast jedem zweiten Patienten nicht der Fall sei: «Heute gilt der grüne Star nicht mehr als Krankheit des Augendrucks.» Neuere Beobachtungen liessen darauf schliessen, dass es sich um eine Durchblutungsstörung im Auge handeln könnte, ausgelöst durch eine Fehlregulation der Blutgefässe im Auge.
Zudem brächten die Tests längst nicht alle Krankheitsfälle ans Licht. Orgül bescheinigt dem Vorsorgeuntersuch eine «schlechte» Treffsicherheit. Er schätzt, dass sich gerade mal 30 Prozent der Verdachtsfälle später bestätigen. Das heisst: Viele Patienten müssen nach der Diagnose unnötigerweise eine Therapie machen. Damit verbunden ist die unnötige Angst, blind zu werden – und damit eine schlechtere Lebensqualität zu haben.
Chefarzt Orgüls Fazit: Die Diagnose grüner Star zu stellen, sei knifflig. Die Augenärzte müssen zu weiteren Hilfsmitteln greifen. Auf dieser Basis auf Kosten der Krankenkassen und Steuerzahler eine Kampagne für das Früherkennen der Krankheit zu starten, hält Selim Orgül für «fragwürdig».
Erste Therapie mit Medikamenten
Viele Fachärzte berufen sich zwar darauf, dass bei einem frühen Erfassen der Krankheit der Erfolg einer Therapie besser sei. So sagt Milko Iliev, Leiter Sektor Glaukom an der Universitäts-Augenklinik am Inselspital Bern, der Sehverlust könne «gestoppt» werden. Ärzte setzen in der Regel zuerst Medikamente ein, die den Innendruck des Auges senken. Erst wenn diese nicht mehr wirken, greifen Chirurgen zum Laser oder zum Skalpell, damit die Flüssigkeit im Augeninnern wieder besser abfliesst.
Doch der Nutzen der verschiedenen Therapien ist ebenfalls unklar. Die Cochrane Collaboration, eine weltweit tätige Gruppierung von Ärzten, klagte noch vor zwei Jahren: Es gebe keine einheitlichen Methoden, um zu überprüfen, wie gut die einzelnen Therapien wirken. Die Autoren hatten dazu gegen 120 klinische Studien analysiert: «Aufgrund der uneinheitlichen Befunde ist es unmöglich, Aussagen über die Wirksamkeit zu machen.»
Untersuch ab 40 nur für Risikopatienten sinnvoll
Trotz all dieser unsicheren Befunde empfiehlt keiner der angefragten Fachleute, auf den Augenuntersuch zu verzichten. Denn es gibt keine Alternativen. Den Test nicht mehr machen zu lassen, ziele deshalb «an der medizinischen Praxis» vorbei, sagt Spezialist Milko Iliev.
Allerdings teilen längst nicht alle Fachleute die Empfehlungen der Gesellschaft der Augenärzte, dass man die Augen bereits ab 40 Jahren testen lassen solle. Die Zürcher Gruppenpraxis Medix empfiehlt den Untersuch erst ab 50 und dann alle drei Jahre (siehe Merkblatt unten). Nur Risikogruppen sollten mit 40 Jahren zum ersten Untersuch. Dazu gehören Patienten mit grünem Star in der Familie, mit Blutdruck-Problemen, mit schwarzer Hautfarbe, die kurzsichtig sind oder die jahrelang Kortison nehmen müssen.
Für Chefarzt Orgül wäre es auch denkbar, dass Augenärzte die Patienten lediglich auf das Risiko der Krankheit aufmerksam machen würden. Den Entscheid für einen Untersuch sollen dann die Patienten selber treffen. Zudem müsste man die Patienten darüber informieren, dass ein negativer Testbefund nicht bedeutet, dass die Krankheit zu einem späteren Zeitpunkt nicht doch ausbrechen kann.
Die Grundversicherung übernimmt die Kosten des Untersuchs bei Gesunden nicht. Sie zahlt nur den Untersuch von Risikopatienten oder bei «abklärungsbedürftigen Beschwerden».