Die Idee klingt bestechend: Bei Heuschnupfen eine Pille nehmen gegen die lästigen Gräserpollen. Das hat auch die Pharmaindustrie erkannt: Seit neun Jahren gibt es Grazax von Alk-Abelló, seit etwa drei Jahren die Pille Oralair von Stallergenes. Patienten mit Allergien gegen Gräser lassen die Tabletten unter der Zunge zergehen.
Die Therapie beginnt etwa vier Monate, bevor die Gräser blühen – und schützt laut Herstellerwerbung gut: «Ihre Wirksamkeit und Sicherheit ist mit soliden Daten belegt», schreibt Oralair-Herstellerin Stallergenes auf ihrer Webseite. Alk-Abelló sagt, mit ihrem Präparat entwickle sich der Verlauf der Krankheit nachhaltig günstig; das sei belegt. Beide Hersteller verweisen auf Studien, die mehrere Jahre dauerten.
Doch Fachleute monieren, der Beleg der Wirksamkeit fehle noch immer. Das deutsche Fachblatt «Arznei-Telegramm» kam kürzlich zum Schluss, dass die Studien zu beiden Arzneien nur «eine fraglich relevante Besserung» belegten. Zudem müssten Patienten oft zusätzliche Allergiemedikamente nehmen gegen akute Beschwerden, zum Beispiel Kortison oder Antihistaminika.
Nach fünf Pollensaisons zeigten sich zwar bei Testpersonen etwas weniger akute Symptome als bei Unbehandelten. Doch die Hersteller hätten die Wirkung ihrer Präparate mit einem Scheinmedikament verglichen und damit nicht belegt, dass die Therapie auch einen «anhaltenden Nutzen» bewirke. Zudem hätten viele Patienten die Studien vorzeitig abgebrochen: Bei Grazax war nach zwei Jahren bereits etwa die Hälfte nicht mehr dabei. Die Resultate seien deshalb «mit Vorsicht» zu interpretieren. Weiter heisst es im «Arznei-Telegramm»: «Sehr häufig kommt es zu lokalen Störwirkungen, insbesondere zu Beginn der Therapie.» So litt fast jeder zweite Patient an Juckreiz im Mund, jeder dritte an Irritationen im Rachen.
Tabletten können Arzt-Behandlung ersetzen
Grazax enthält Gräserpollen aus Wiesenlieschgras, Oralair zusätzlich Pollen vier weiterer Gräser. Sie eignen sich daher für Personen, die nur auf Gräser allergisch reagieren. Ob die Tabletten die Immunisierungstherapie mit Spritzen beim Arzt ersetzen, ist allerdings ungewiss. Direkte Vergleiche wurden bislang nur in wenigen Studien gezogen. Der Allergieexperte Harold Nelson von der Universität von Colorado kam im Fachblatt «Journal of Allergy and Clinical Immunology» zum Schluss: Die Immuntherapie mit Spritzen sei besser, weil die Ärzte in Bezug auf die nötige Dosis viel Erfahrung sammeln konnten. Diese Erfahrung fehle bei den Tabletten noch.
Der Allergologe und Immunologe Arthur Helbling vom Spitalnetz Bern sagt über die Tablettentherapie: «Schwere Nebenwirkungen sind im Vergleich zur Spritzentherapie viel seltener.» Patienten müssten nicht zum Arzt und könnten die Behandlung selber organisieren.
Grazax-Herstellerin Alk-Abelló verweist auf Richtlinien, die Experten kürzlich ausgearbeitet hätten. Darin heisse es, die Wirkung der Gräsertabletten sei «sehr gut belegt». Auch Oralair-Herstellerin Stallergenes verweist auf diese Richtlinien.
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