Der Titel lautet: «Schluss mit Schnarchen». Im Artikel dazu empfiehlt die neue Gesundheitszeitschrift «My Health» eine Zahnschiene, eine sogenannte Protrusionsschiene. Diese stellt der Zahnarzt her, Patienten tragen sie über Nacht im Mund. Dazu folgt im Bericht ein Zitat der Küsnachter Zahnärztin Judith Aufenanger: Die Schiene gehöre «zu den wirksamsten Methoden gegen Schnarchen und Schlafapnoe». Nur: Dazu gibt es praktisch keine Untersuchung. Bei Schlafapnoe helfen nachweislich Atemmasken, gegen Schnarchen hilft Abnehmen. Was irritiert: Mitten im Artikel ist ein Inserat eingefügt – das für eine Protrusionsschiene wirbt.
«Blut in Not» lautet der Titel eines Artikels über Blutarmut. Darin steht, Frauen hätten wegen der Menstruation oft zu wenig Eisen, das zeige sich in «Leistungsschwäche». Unmittelbar vor dem Artikel ist ein Inserat platziert. Dort wirbt der Hersteller mit dem Slogan «Schluss mit Schlapp» für sein Eisenpräparat Floradix. Doch Präparate wie Floradix nützen wenig in solchen Fällen, weil sie zu wenig Eisen enthalten. Im Artikel steht nichts davon.
«My Health» liegt seit kurzem in Postfilialen und Apotheken auf – gratis für die Kunden. Fachleute sind irritiert, so auch Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften: Die starke inhaltliche Verknüpfung der Texte mit der Werbung deute darauf hin, dass die Redaktion bei der Auswahl ihrer Themen nicht frei sei, sondern sich von den Interessen der Inserenten leiten lasse.
Werbetexter schreiben die Artikel
In der Tat sind nicht Journalisten einer unabhängigen Redaktion für die Artikel von «My Health» verantwortlich, sondern Texter der Zürcher Public-Relations-Agentur Mecaso. Sie ist auf die Kommunikation Business-to-Consumer spezialisiert. Das heisst: Sie stellt Werbung von Firmen für Leser her. Die Agentur wirbt im Internet: «My Health bietet seinen Kunden ein exklusives Umfeld, um Informationen und Produktwerbung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.» Mehr noch: Die Agentur brüstet sich mit «Kommunikationsstrategien für verschreibungspflichtige Medikamente.» Nur: Werbung für solche Medikamente ist verboten.
«My Health» ist nicht die einzige kostenlose Gesundheitszeitschrift. In Apotheken, Drogerien und Postfilialen liegt rund ein Dutzend Gratis-Magazine auf, wie «Astrea Apotheke» oder «Sprechstunde Doktor Stutz». Auch bei ihnen sind Inserate und redaktionelle Texte eng verflochten. So empfiehlt «Astrea Apotheke» Mittel mit Echinacea, Efeu und Pelargonium gegen Erkältungen. Irritierend: Das Heft enthält Inserate für solche Produkte. Auch hinter «Astrea Apotheke» steht eine Kommunikationsagentur: die Healthcare Consulting Group aus Zug. Zu ihren Kunden gehören Pharmakonzerne wie Sanofi oder Pfizer. Laut der Agentur wird «Astrea Apotheke» je hälftig durch den Inserateverkauf und durch Apotheken finanziert.
Noch weiter geht der frühere TV-Arzt Samuel Stutz: In seiner Zeitschrift «Sprechstunde Doktor Stutz» vermischt er nicht nur Werbung mit Journalismus. Die Produkte, die er im Heft anpreist, verkauft er auch gleich selbst. Doch Fachleute bezweifeln den Nutzen dieser Produkte. Sein «Wunder-Müesli» halten sie für überteuert (Gesundheitstipp 4/2017). Und der Nutzen der sogenannten TENS-Geräte gegen Schmerzen, die Stutz verkauft, ist umstritten («Saldo» 19/2017). Stutz finanziert sein Gratis-Heft laut eigenen Angaben je ungefähr zur Hälfte mit dem Verkauf von Produkten und Inseraten.
Der Arzt Etzel Gysling aus Wil SG, Herausgeber der Fachzeitschrift «Pharmakritik», geht mit solchen Heften hart ins Gericht. Er spricht von «Pseudoinformation»: «Diese Produkte dienen in erste Linie der finanziellen Gesundheit der Firmen und Agenturen und nicht der Gesundheit der Bevölkerung.» Max Trossmann, Vizepräsident des Schweizer Presserates, sagt: «Es geht da nicht um Journalismus, sondern um Werbung.» Und David Sieber, Chefredaktor der Fachzeitschrift «Schweizer Journalist», kritisiert: «Bei diesen Produkten wird Journalismus vorgetäuscht.»
Zum Vergleich: Beim Gesundheitstipp sind Redaktion und Inserateabteilung strikt getrennt. Journalisten beschaffen sich die Informationen nach den neuesten medizinischen Erkenntnissen – unabhängig von den Interessen der Firmen und Behörden. Es erscheinen keine Artikel, die von Vertretern der Gesundheitsindustrie finanziert sind.
Anzeigekunden kennen redaktionelle Themen
Mecaso entgegnet, «My Health» biete «profunde Informationen», die meist von medizinischen Fachleuten stammen oder von ihnen bestätigt würden. «My Health» informiere auch über Medikamente und Behandlungen, die sich als kontraproduktiv erwiesen hätten oder deren Wirkung nicht nachgewiesen sei. Die redaktionellen Texte seien klar von Inseraten getrennt. Auf der Website von «My Health» seien zusätzliche Informationen zu Eisenmangel und Schlafapnoe aufgeschaltet. Niedrig dosierte Johanniskrautpräparate könne man in der Apotheke ohne Rücksprache mit einem Arzt kaufen.
Die Healthcare Consulting Group gibt zu, die Redaktion der Zeitschrift «Astrea Apotheke» teile ihre Themen «selbstverständlich» im Voraus den Anzeigekunden mit. Dennoch sei die Redaktion «unabhängig und frei». Samuel Stutz sagt, er verkaufe Müesli und andere Produkte, weil ihn Leser nach empfehlenswerten Produkten gefragt hätten. Seine Leser hätten «beste Erfahrungen» mit TENS-Geräten gemacht. Der Preis des Müeslis ergebe sich aus dem relativ teuren Einkaufspreis von Zutaten wie Weizenkeimen.
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