Vitamin D ist wichtig für die Gesundheit der Knochen. Fachleute empfahlen bisher, man solle pro Tag 5 Mikrogramm Vitamin D aufnehmen. Doch jetzt hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) diesen Wert stark erhöht: Sie empfiehlt seit Januar eine Dosis von 20 Mikrogramm pro Tag. Die Begründung der Gesellschaft: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung sei ungenügend mit Vitamin D versorgt. Deshalb müssten die Menschen ihrem Körper mehr von diesem Vitamin zuführen. Den grössten Teil des benötigten Vitamin D stellt der Körper selber her, wenn die Haut dem Sonnenlicht ausgesetzt ist. Man kann Vitamin D aber auch mit Lebensmitteln aufnehmen.
Doch jetzt protestieren Fachleute gegen die neue Empfehlung der DGE. Die Hamburger Ärztin und Gesundheitswissenschafterin Ingrid Mühlhauser kritisiert: «Die Aussagen der DGE beruhen auf unsicheren wissenschaftlichen Daten.» Es gebe keine Beweise dafür, dass ein grosser Teil der Bevölkerung zu wenig Vitamin D habe. Um herauszufinden, ob viele Leute zu wenig gut mit Vitamin D versorgt sind, seien bessere Studien nötig.
Empfohlene Mengen sind «willkürlich»
Auch der Zürcher Präventivmediziner David Fäh sagt: «Niemand kann genau sagen, welche Vor- und Nachteile mit einer bestimmten Vitamin-D-Konzentration im Blut verbunden sind.» Wissenschaftern, die dennoch einen bestimmten Vitamin-D-Spiegel empfehlen, wirft Fäh «eine gewisse Willkür» vor.
Fachleute sind sich einig: Nur die wenigsten Menschen brauchen Vitamin-D-Tropfen. Der Basler Stoffwechselexperte Ulrich Keller sagt: «Gesunde Menschen benötigen keine Vitamin-D-Präparate.»
Vitamin-D-Tropfen: Mit dem Arzt absprechen
Nur wer zu einer Risikogruppe gehöre, könne von einem Vitaminzusatz profitieren. Das sind insbesondere gebrechliche Senioren, schwangere und stillende Frauen, stark Übergewichtige und kleine Kinder. Ärztin Ingrid Mühlhauser erklärt sogar: «Nur bei pflegebedürftigen alten Menschen, die nicht mehr ins Freie kommen, ist der Nutzen von Vitamin-D-Zusätzen belegt.» Sie könnten Vitamin D und Kalzium einnehmen, um Stürzen und Knochenbrüchen vorzubeugen. Doch bei alten Menschen sei der Nutzen des Vitamins bescheiden, so Mühlhauser: «Die meisten Knochenbrüche treten bei Menschen mit normalen Vitaminspiegeln auf.» Ingrid Mühlhauser rät, Vitamin-D-Tropfen nicht auf eigene Faust einzunehmen, sondern nur nach Rücksprache mit einem Arzt, um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden. Die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie empfiehlt Eltern, Säuglingen im ersten Lebensjahr täglich 10 Mikrogramm Vitamin D zu geben.
Einige Lebensmittel enthalten grössere Mengen an Vitamin D, zum Beispiel fette Fische, Eier und Pilze (siehe auch den Tipp-Kasten). Doch Ulrich Keller sagt: «Es ist kaum möglich, den Vitamin-D-Bedarf nur durch die Ernährung zu decken.» Um genügend Vitamin D zu haben, müsse man deshalb regelmässig an die Sonne gehen.
«Aufenthalt im Freien ist in jedem Fall gut»
Zwar scheint die Sonne im Winter weniger und der Vitamin-D-Spiegel im Blut sinkt. Doch Ulrich Keller sagt: «Dann lebt der Körper von der Vitamin-D-Reserve im Fettgewebe.» Für die meisten Menschen habe das Absinken des Vitamin-D-Spiegels keine negativen Folgen.
Wie lange man an die Sonne gehen muss, damit die Haut genügend Vitamin D produzieren kann, sei nicht klar, so Präventivmediziner David Fäh: «Das kann man nicht generell sagen, denn die nötige Dauer hängt von vielen Faktoren ab wie dem Alter, der Hautfarbe, dem Wetter oder dem Breitengrad.» Für Ingrid Mühlhauser ist klar: «Ein Aufenthalt im Freien ist in jedem Fall gut.» Wer sich regelmässig an der frischen Luft bewege, könne genügend Vitamin D bilden.
Eine Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sagt, die Aussage, dass ein grosser Teil der Bevölkerung ungenügend mit Vitamin D versorgt sei, beruhe auf «zuverlässigen Daten». Die Vorteile einer guten Vitamin-D-Versorgung seien klar bewiesen.
Jetzt arbeitet auch eine Schweizer Expertengruppe im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit an einem neuen Vitamin-D-Bericht. Er soll im Frühling fertig sein. Sobald der Bericht vorliegt, will das Bundesamt entscheiden, ob es die empfohlene Vitamin-D-Dosis wie die DGE nach oben anpasst.
TIPPS: So bekommen Sie genug Vitamin D
- Bewegen Sie sich regelmässig an der frischen Luft, auch im Winter.
- Essen Sie reichlich Lebensmittel, die viel Vitamin D enthalten (Angaben in Mikrogramm pro 100 Gramm):
Felchen (22)
Lachs (8)
Eier (6)
Kalbfleisch (5)
Pilze (2–3). - Geben Sie Säuglingen im ersten Lebensjahr Vitamin-D-Tropfen, damit sich ihre Knochen gut entwickeln.
- Fragen Sie Ihren Arzt nach Vitamin-D-Tropfen, wenn Sie nicht mehr an die Sonne gehen können, weil Sie gebrechlich sind, wenn Sie stark übergewichtig sind oder wenn Sie dunkle Haut haben.
- Nehmen Sie Vitamin-D-Tropfen nur nach Rücksprache mit Ihrem Arzt ein.
Umstrittene Werbung der Solarienkette at the beach: «Eine irreführende Aussage»
Eine Solarienkette behauptet, der Besuch im Solarium steigere die Vitamin-D-Produktion. Doch Experten winken ab.
«Vitamin-D-Tankstelle»: So wirbt die Zürcher Solarienkette At the Beach um Kunden. Günther Hofbauer, Hautarzt am Universitätsspital Zürich, sagt dazu: «Das ist eine irreführende Aussage. Solarien erzeugen vor allem UVA-Strahlen, die nichts zur Vitamin-D-Produktion beitragen.» Die Haut könne Vitamin D nur mit UVB-Strahlen bilden. Laut dem Bundesamt für Gesundheit beträgt der UVB-Anteil in Solarien nur 1 Prozent. Sonnenlicht hat 5 Prozent UVB-Anteil.
Auch Stephan Lautenschlager, Chefarzt am Zürcher Triemlispital, kritisiert die Werbung: «Hier wird versucht, aus der aktuellen Diskussion um die Wirkung von Vitamin D Kapital zu schlagen.» Er rät von Solariumbesuchen ab, weil damit das Hautkrebs-Risiko steige.
Heinz Wolf, Geschäftsführer der At-the-Beach-Solarien und Vizepräsident des Solariumverbandes Photomed, sagt, Studien zeigten, dass Solarien die Vitamin-D-Produktion anstossen könnten, auch wenn der UVB-Anteil klein sei. Der Zusammenhang von Solariumbesuch und Hautkrebs sei «zweifelhaft».