Jährlich gibt es in der Schweiz rund 400 Totgeburten. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik. Das ist ein Drama für die Eltern. Spitäler betreuen Betroffene unterschiedlich. Im Unispital Zürich und im Kantonsspital Luzern legt man verstorbene Neugeborene in kaltes Wasser ein. Grund: Das Kind soll länger schön bleiben, seine Haut sich weniger rasch verfärben. Das soll es Eltern erleichtern, besser Abschied zu nehmen. Doch das ist umstritten. Die Fachstelle Kindsverlust.ch schrieb in der Hebammenzeitschrift «Obstetrica»: «Wir stehen der Wassermethode kritisch gegenüber.» Zudem zweifelt die Fachstelle, dass die Methode Eltern hilft.
Eltern sollten ihr Kind berühren können
Bei der Wassermethode liegt das Baby die meiste Zeit im Wasser und nicht auf der Brust von Mutter oder Vater. Der Körperkontakt wäre aber wichtig. Milena Kavishe-Schaller von Kindsverlust.ch sagt: «Eltern hilft es, wenn sie ihr verstorbenes Baby berühren und in den Armen halten können.» Betroffene bestätigen dies. Esther Nüesch aus Winterthur ZH brachte 2019 ihr erstes Kind zur Welt. Nach der Geburt atmete Eleni nicht. Schliesslich mussten die Eltern ihr Baby gehen lassen. Nüesch erinnert sich: «Ich wünschte mir, dass Eleni auf meiner Brust sterben kann.» Sie streichelte ihr Baby und redete mit ihm. «Es war mir wichtig, dass ich es spüren und halten konnte.»
Wassermethode erschwert den Abschied
Hinzu kommt: Die Wassermethode verzögert den Abschied und erschwert so das Loslassen. Anna Margareta Neff Seitz von der Fachstelle Kindsverlust.ch schrieb in «Obstetrica»: «Wenn Eltern erleben, wie sich ihr Kind langsam verändert, weil zum Beispiel Flüssigkeit aus den Körperöffnungen austritt, die Haut einfällt, es langsam anders riecht, werden sie eher bereit sein, sich vom Körper des Kindes zu verabschieden.» So könnten Eltern erleben, dass «das Wesen des Kindes nicht länger im leblosen Körper wohnt». Aus diesen Gründen hat sich das Inselspital Bern gegen die Wassermethode entschieden. Die Hebamme Andrea Messer sagt: «Es ist natürlich, dass sich ein verstorbenes Baby verändert. Wir denken, dass das Loslassen mit der Konservierung erschwert sein kann.»
Einig sind sich die Fachleute, dass Eltern Zeit mit ihrem Kind brauchen. Früher war das anders: Spitäler wollten die Eltern so wenig wie möglich in Kontakt mit ihrem verstorbenen Kind lassen, um sie zu schonen. Kavishe sagt: «Es war gängige Praxis, dass Eltern ihr verstorbenes Kind nicht einmal sehen oder halten konnten.» Häufig wussten die Eltern nicht, was mit dem Kind passierte. Kavishe: «Heute weiss man, dass dies Eltern traumatisieren und krank machen kann.»
Diese Erfahrung machte auch das Ehepaar Bürli aus Langenthal BE. Seine Zwillingssöhne wären schon längst erwachsen. Doch die Buben starben im Bauch – in der 36. Woche der Schwangerschaft. Am Tag nach der Diagnose leiteten die Ärzte die Geburt künstlich ein: Sie sprengten die Fruchtblase und gaben Annalise Bürli ein Wehenmittel. Die Geburt war schwer. Die 74-Jährige erinnert sich: «Nach der Geburt nahmen die Hebammen die Kinder sofort weg. Ich wollte sie sehen und halten. Doch die Hebammen sagten: ‹Das tut Ihnen nicht gut.›» In den folgenden Tagen habe sie ständig nachgefragt, wo die Kinder seien, sagt Bürli. Stets lautete die Antwort: «Die sind zum Untersuch in einem anderen Spital.» Annalise Bürli beschäftigt es bis heute, dass sie die Kinder nicht halten konnte. Und bis heute weiss sie nicht, was mit ihnen geschah.
Das Unispital Zürich sagt, die Wassermethode komme nicht bei allen betroffenen Eltern zum Einsatz. Für einige sei der Körperkontakt mit dem Kind wichtig, anderen würden Bilder helfen. «Es ist nicht an uns, zu entscheiden, welche Form die richtige ist.»
Tipps: Das hilft Eltern von verstorbenen Babys
- Lassen Sie sich nicht hetzen: Nehmen Sie sich Zeit, den ersten Schock zu verdauen. Entscheiden Sie in Ruhe, wie es weitergehen soll.
- Nehmen Sie die Hilfe einer Fachperson in Anspruch – etwa einer Hebamme (Adressen auf Hebamme.ch) oder der Fachstelle Kindsverlust.ch.
- Schaffen Sie Erinnerungen an Ihr Kind: einen Gipsabdruck Ihres Bauches, Fotos Ihres Kindes oder ein selbstgemachtes letztes Ruhebettchen.
- Laden Sie Familie und Freunde ein, um Ihr Kind gemeinsam zu verabschieden.
- Betroffene können ihr verstorbenes Kind bis zur Bestattung nach Hause nehmen. Lassen Sie sich dazu vom Spital oder von Ihrer Hebamme beraten.
- Erkundigen Sie sich nach den Möglichkeiten für die Bestattung. Ein passender Ort zum Trauern hilft vielen Betroffenen.
- Geben Sie Ihrem verstorbenen Kind einen Brief oder ein Kuscheltier mit.
- Suchen Sie bei Bedarf den Kontakt zu anderen betroffenen Eltern, zum Beispiel über Selbsthilfegruppen.
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