Finn Huber (Name geändert) war früher topfit: Er ging oft schwimmen oder kletterte mit Kollegen. Zudem trainierte er fast täglich im Fitnessstudio. «Das war eine riesige Leidenschaft von mir», erzählt er. Heute ist das anders: «Wenn ich es einmal ins Training schaffe, gleicht das Programm mehr jenem der Senioren», sagt der 24-Jährige aus Nidwalden. Früher wog der 1,85 Meter grosse Mann 80 Kilo – heute sind es 68. «Ich bin nur noch ein Häufchen Elend.»
Der Grund: Finn Huber steckte sich vor vier Jahren mit Chlamydien an. Das sind Bakterien, die man beim Sex überträgt. Huber spürte kurz danach ein Brennen beim Wasserlösen. Zum Arzt ging er nicht – er hoffte, dass die Symptome von allein verschwinden würden. Doch es wurde nicht besser. Der Arzt verschrieb ihm Antibiotika. Doch diese wirkten kaum.
Chlamydien und Tripper: Immer mehr Betroffene
Finn Huber ist kein Einzelfall: In der Schweiz stecken sich viele Leute mit Geschlechtskrankheiten an. Die Zahl der Ansteckungen nimmt seit Jahren zu (siehe Grafik im PDF). So infizierten sich laut Zahlen des Bundesamts für Gesundheit im vergangenen Jahr rund 13'000 vor allem junge Leute mit Chlamydien – das sind 800 mehr als im Jahr zuvor.
Ähnlich ist es beim Tripper: Im letzten Jahr infizierten sich fast 1000 Leute mehr als im Vorjahr.
Bei beiden Krankheiten spürt man am Anfang meist nicht viel. Tripper macht sich manchmal durch Ausfluss bemerkbar. Unternimmt man nichts, riskiert man jedoch Unfruchtbarkeit. Auch bei Syphilis gibt es immer mehr Fälle. Nur bei HIV sieht die Zahl anders aus: Im vergangenen Jahr sank sie leicht auf 368 Fälle.
Kondome schützen nicht vor allen Krankheiten
Das Problem: Mit Chlamydien, Tripper und Syphilis steckt man sich schneller an als mit HI-Viren. Dominique Laurent Braun ist Leiter der Sexual-Health-Sprechstunde an der Klinik für Infektionskrankheiten des Unispitals Zürich. Er sagt: «Bei korrekter Anwendung schützt das Kondom gut vor HIV. Doch vor Chlamydien, Tripper und Syphilis schützt es nur teilweise.»
Das zeigte sich auch bei Finn Huber. Er hatte stets ein Kondom benutzt – trotzdem steckte er sich mit Chlamydien an. Grund dafür sind die unterschiedlichen Übertragungswege. HI-Viren befinden sich in Sperma, Scheidensekret und Blut. Fehlt der Schutz, gelangen sie beim Vaginal- oder Analverkehr über Schleimhäute in den Körper, nicht aber beim Oralverkehr.
Kondome verhindern den direkten Kontakt mit Körpersekreten. Chlamydien- und Trippererreger befinden sich auf der Schleimhaut der Vagina und der Harnröhre sowie bei Anus, Enddarm und Rachen. Sie übertragen sich bereits bei engem Hautkontakt wie etwa beim Oralsex oder Küssen.
Keine Angst mehr vor HIV
Hinzu kommt, dass die Angst vor Aids abgenommen hat. Beim Unispital Zürich heisst es: «Wir beobachten einen sorgloseren Umgang mit den Safer-Sex-Regeln, weil HIV heute besser behandelt werden kann.» Vor HIV kann man sich inzwischen nicht nur mit Kondomen, sondern manchmal auch mit dem Mittel Truvada schützen.
Fachleute sprechen von HIV-Präexpositions-Prophylaxe. Truvada ist ein Mittel gegen HIV. Wenn Gesunde es einnehmen, reichert sich der Wirkstoff in den Schleimhäuten an. Das HI-Virus kann dann nicht eindringen.
Auch die Ferien- und Reisezeit befördert die Zunahme von Geschlechtskrankheiten. Eine Studie von Patricia Schlagenhauf, Professorin für Reisemedizin in Zürich, zeigt: Reisen erhöht das Risiko, sich mit einer Geschlechtskrankheit anzustecken. Schlagenhauf wertete für die Studie Daten von 112'000 Reisenden aus. Britische Forscher schätzen, dass jede zehnte Geschlechtskrankheit auf eine Infektion im Ausland zurückgeht. Experte Braun bestätigt: «Geschlechtskrankheiten können ein Reisesouvenir sein.»
Wer mit Symptomen wie Fieber aus den Ferien heimkehrt, solle daher nicht nur an Reisekrankheiten wie Malaria denken, sagt Braun. Man solle auch überlegen, ob man sich über Sex mit einer Krankheit angesteckt haben könnte.
Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser ergänzt: «In den Sommerferien sind Bekanntschaften häufig wenig verbindlich.» Komme es zum Sex, würden viele Leute davor nicht übers Kondom sprechen – weil sie sich schämen oder weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Auch der Einfluss von Alkohol oder Drogen könne dazu führen, dass das Kondom vergessen werde.
Antibiotika gegen bakterielle Erreger
Ärzte behandeln Geschlechtskrankheiten mit Antibiotika, wenn Bakterien die Ursache sind. Bei Krankheiten, die Viren auslösen, setzen sie antivirale Medikamente ein. Gegen Hepatitis B gibt es zwar eine Impfung. Unabhängige Fachleute empfehlen sie aber nur für Risikogruppen, etwa für Drogenabhängige.
In seltenen Fällen kommt es zu Komplikationen – wie bei Finn Huber. Er hat sich auch nach vier Jahren nicht von seiner Chlamydieninfektion erholt. Seine Harnröhre ist dauerhaft entzündet.
Inzwischen ist auch die Prostata betroffen. Er hat Schmerzen und leidet an Depressionen. «Mein ganzes Leben geht den Bach runter wegen dieser Infektion», sagt Huber. «Es scheint, dass mir niemand helfen kann.» Er sehe, wie seine Kollegen ihre Ziele verfolgen könnten, während er sozusagen dahinvegetiere. Ihm bleibt nur die Hoffnung, dass die nächste Antibiotikakur anschlägt.