Der 63-jährige Roger Zemp (Name geändert) und seine Frau freuten sich schon lang auf ihre Kreuzfahrt. Das Schiff fuhr von Singapur über Vietnam, Thailand nach Malaysia und zurück. Zwei Tage vor dem Ende der Kreuzfahrt spürte Zemp plötzlich eine schmerzhafte Geschwulst am Afterausgang. Deshalb ging er ins Bordhospital. Eine Ärztin sagte ihm, er leide an einer Perianalvenenthrombose. Das müsse man dringend operieren. Am gleichen Tag versetzten die Schiffsärzte den Passagier in Narkose und setzten das Messer an. Nach dem Eingriff waren die Schmerzen weg, doch die Wunde blutete noch tagelang.
Zurück in St. Gallen erlebte Zemp noch eine unangenehme Überraschung: Die Reederei TUI Cruises berechnete ihm für den Eingriff rund 1300 Franken. Das ist wesentlich teurer als in der Schweiz. Eine vergleichbare Operation würde hier höchstens 950 Franken kosten, so Chirurg Christian Sartoretti vom Kantonsspital St. Gallen.
Eine Vollnarkose ist zudem in der Regel gar nicht nötig. Der Zürcher Chirurg Renward Hauser spricht von einem «kleinen Notfalleingriff mit geringem Aufwand». Beim Eingriff unter lokaler Betäubung verlangen Schweizer Ärzte ca. 200 Franken. Auch der Preis für die Beratung und Untersuchung sei «ein stolzer Betrag», sagt Hauser. Die Liste des berechneten Materials wirke «sehr luxuriös». Die Schiffsärzte hätten «mit der sehr grossen Kelle angerührt».
Geschwulst: «Kühlen und Schmerzmittel genügen»
Kommt dazu: Die Operation auf dem Schiff wäre vermutlich nicht nötig gewesen. Roger Zemp liess sich von Christian Sartoretti untersuchen. Der Chirurg sagt, man könne eine Geschwulst am Darmausgang einfach behandeln, indem man sie kühlt und Schmerzmittel gibt. Zudem vermutet Sartoretti, dass ein Blutgerinnsel in den Hämorrhoiden die Schmerzen ausgelöst hatte. In solchen Fällen sei ein Eingriff nicht angezeigt.
Im Internetforum Holidaycheck.ch berichten viele Patienten von hohen Arztrechnungen auf Schiffen. So schreibt ein Passagier, die TUI-Reederei habe ihm über 300 Euro berechnet für ein 10-minütiges Gespräch mit Fiebermessen. Ein anderer Passagier gibt an, er habe für zwei Infusionen wegen hohem Fieber mit Schüttelfrost über 1300 Euro zahlen müssen. Auch diese Behandlungen sind in der Schweiz günstiger. Laut Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser kostet ein kurzes Gespräch mit Fiebermessen beim Schweizer Hausarzt etwa 50 Franken, in der Notfallstation 100 Franken. Und für zwei Infusionen würde man laut Walser rund 800 Franken zahlen.
TUI Cruises strebt nach «maximalem Gewinn»
Schiffsärzte kritisieren, die hohen Rechnungen seien das Resultat eines übertriebenen Gewinnstrebens. Der deutsche Arzt Werner Kalbfleisch vermittelt Schiffsärzte an Reedereien. Er wirft TUI Cruises vor, die Reederei wolle einen «maximalen Gewinn» erzielen. Das sei nur möglich, indem die Schiffsärzte überhöhte Rechnungen schreiben und unnötige Behandlungen durchführen. Die berechneten Preise seien um ein Mehrfaches höher als die Tarife der Ärzte in Deutschland. Jürgen Schaale-Maas, der als Schiffsarzt für TUI Cruises gearbeitet hatte, sagt, die Reederei verlange von Schiffsärzten, pro Patient möglichst viele Leistungen zu erbringen, um hohe Rechnungen zu generieren.
Wer sich auf hoher See behandeln lässt, sollte die Rechnung sorgfältig prüfen. So wie Rainer Schmidt (Name geändert) aus Ulm (D). Ende März suchte er in der Nacht wegen Schmerzen in der Brust das Bordhospital auf. Er erinnert sich: «Der Schiffsarzt sagte mir, zu dieser nachtschlafenen Zeit gebe es eine gesalzene Rechnung.» Für Infusionen und andere Behandlungen verlangte der Schiffsarzt rund 2500 Euro. Als Schmidt die Rechnung prüfte, sah er, dass der Arzt mehrere Posten doppelt eingetragen hatte. Schmidt reklamierte und erhielt eine um 1000 Euro günstigere Rechnung.
Doch auch die zweite Rechnung ist laut Arzt Werner Kalbfleisch überzogen: Schiffsärzte dürften nicht 200 Euro pro Stunde für das «Verweilen im Hospital» berechnen, wenn der Patient gleichzeitig Infusionen bekomme.
Die Reederei TUI Cruises bezeichnet die Kritik als «unbegründet». Die Behandlungen richte sich nach dem medizinisch Notwendigen und dem vom Patienten gewünschten Leistungsumfang. Der Gang ins Bordhospital sei eine «privatärztliche Leistung im Ausland» und falle nicht unter die deutsche Gebührenverordnung für Ärzte. Man informiere Patienten über die zu erwartenden Kosten. TUI Cruises garantiere weltweit rund um die Uhr ärztliche Betreuung durch zwei Fachärzte und drei Pfleger. Die Bordhospitäler verfügten über Geräte wie eine Notfallambulanz eines deutschen Spitals.
Bei aufwendigeren Eingriffen seien meist beide Bordärzte beteiligt. Sie hätten die Patienten «nach bestem Wissen und Gewissen» versorgt. TUI Cruises habe die hohe Rechnung von Passagier Schmidt «abschliessend geklärt» und sich beim Kunden für die Unannehmlichkeiten entschuldigt.
Kreuzfahrt: Das sollten Sie beachten
- Nehmen Sie eine gut ausgestattete Reiseapotheke mit (siehe Merkblatt).
- Gehen Sie nicht wegen leichter Beschwerden ins Bordhospital. Vielleicht reist ein Arzt als Passagier mit, der Sie beraten kann.
- Falls eine Behandlung im Bordhospital notwendig ist: Fragen Sie den Schiffsarzt vorher, was das kostet.
- Überhöhte Rechnung: Reklamieren Sie bei der Reederei.
- Eine Reiseversicherung ist meist nicht nötig. Krankenkassen bezahlen in Europa bis zum doppelten Betrag, den sie in der Schweiz vergüten würden. Nur in Privatspitälern mit extrem hohen Arzttarifen kann sich eine Reiseversicherung lohnen.