Diesen Winter verirrte ich mich schon drei Mal auf eine Strasse, die zur Autobahn führt. Es war ziemlich gefährlich, wie ich da mit meinem weissen Stock umhertappte. Ich wollte auf dem Handy Navigationsapps für Blinde testen. Doch ich kam nicht an den Zielort, sondern mitten in die Blechlawine. Zum Glück hat mich jedes Mal jemand aus dieser misslichen Lage befreit. Einmal hielt eine Frau an und brachte mich mit ihrem Auto nach Hause. In solchen Situationen verzweifle ich fast daran, dass ich nichts sehe. Aber es ist nicht meine Art aufzugeben. Ich probiere etwas so lange, bis es klappt. Würde ich jedes Mal klein beigeben, wäre ich niemals dort, wo ich heute bin.
Blind bin ich seit Geburt. Als Kind war das für mich normal. Später habe ich dann oft darunter gelitten, dass ich nicht wie meine Geschwister ausgehen konnte. Ich lernte aber, mich zu orientieren: an der Bodenbeschaffenheit, an Geländern, aber auch an Geräuschen und Gerüchen aus den Läden.
Ab und zu kann ich ein Licht sehen. Es ist, als würde jemand mit der Taschenlampe leuchten. Trotzdem ist der Alltag nicht einfach. Ich führe ein eigenständiges Leben.
Den Haushalt besorge ich selbst. Zudem arbeite ich 30 Prozent. Vor drei Jahren fand ich meinen Traumjob in einem Elektronikfachgeschäft. Ich helfe den Kunden dabei, ihre Smartphones einzurichten. Dazu sage ich ihnen genau, welche Schritte sie ausführen müssen. Auch per Telefon unterstütze ich sie, wenn sie ein Problem mit ihrem Gerät haben. Ich liebe meine Arbeit. Aber am Anfang war es manchmal schwierig. Vor allem der Weg zur Arbeitsstelle hat mir Sorgen bereitet. Er führt über den Flughafen Zürich. Ich komme im Untergrund mit dem Zug an und muss dann dieses riesige Areal durchqueren, um zum Bus zu gelangen. Den Weg habe ich über mehrere Monate eingeübt – zusammen mit einer Mobilitätstrainerin, die Blinden hilft, sich an einem Ort zu orientieren. Trotzdem verirrte ich mich noch einige Male. Heute könnte ich den Weg im Schlaf gehen.
Mit 26 hatte ich eine Augenoperation. Doch sie machte alles viel schlimmer. Ich würde viel darum geben, wieder hell und dunkel wahrnehmen zu können wie vor dem Eingriff. Dazu kam: Meine Augen waren nach der Operation ständig entzündet und blutunterlaufen. Deshalb ist für mich ein Blindenführhund nie in Frage gekommen. Seine Haare hätten die Augen noch mehr gereizt.
Es gibt Momente, in denen ich nicht daran denke, dass ich blind bin. Zum Beispiel, wenn ich Musik höre. Auch mit meinem Schwyzerörgeli zu musizieren, geniesse ich. Zudem gehe ich jede Woche in mein Lieblingslokal und treffe immer wieder nette und hilfsbereite Leute. Das macht mich glücklich.
Viele Hürden im Alltag der Blinden
Der Alltag ist für blinde und sehbehinderte Menschen oft schwierig. Zum Beispiel im Strassenverkehr. Noch gibt es viele Ampeln ohne akustischenSignale. Und bei grossen Kreuzungen sind Blinde oft auf Helfer angewiesen. An Bahnhöfen gibt es am Boden zwar Leitlinien – Markierungen, die Betroffene mit dem Stock spüren. Alfred Rikli vom Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband sagt dazu: «Allerdings sind die Leitlinien nicht immer frei.» Manchmal parkieren Fahrzeuge darauf. Und gerade in Bahnhöfen seien die Linien durch Menschen blockiert, vor allem während der Stosszeiten. Dann komme es zu gefährlichen Situationen, so Rikli.
Informationen
Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband
www.sbv-fsa.ch
Schweizerischer Blindenbund
www.blind.ch