Ruth Baumann-Hölzle, sind Sie gegen die Gleichstellung von Mann und Frau?
Nein, sicher nicht. Wie käme ich dazu?
Befürworter der Eizellenspende sagen: Frauen sollen Eizellen spenden dürfen, wie Männer ihr Sperma heute schon spenden.
Das ist überhaupt nicht das Gleiche. Die Samenspende des Mannes ist eine harmlose Handlung, die Eizellenspende der Frau hingegen ein medizinischer Eingriff mit Risiken.
Was für Risiken?
Die Frau ist in Narkose, wenn man ihr Eizellen entnimmt. Ärzte können die Spenderin dabei verletzen. Sie stimulieren zudem vorher die Eierstöcke mit Hormonen, damit Eizellen heranreifen und man sie absaugen kann. Auch das belastet den Körper stark.
Die Befürworter stützen sich auf die Nationale Ethikkommission. Sie sagte schon vor Jahren, das heutige Gesetz diskriminiere die Frauen. Wie war denn eine solche Einschätzung möglich?
Die Kommission hatte damals die Risiken heruntergespielt. Sie ge-wichtete höher, dass die Frau über ihren Körper entscheiden kann – auch wenn sie ihn mit einer Eizellenspende unter Umständen schädigt.
Jede Frau soll also mit ihren Eizellen machen können, was sie will?
Genau. Doch mit Diskriminierung hat das heutige Verbot der Eizellenspende nichts zu tun. Der Mann geht bei der Samenspende ja keine Risiken ein.
Die Eizellenspende ist bereits in 20 Ländern zugelassen. Befürworter sagen, die Schweizer Gesetzgebung sei altmodisch.
Das hat nichts mit altmodisch zu tun. Die Frage ist: Was möchten wir noch alles mit dem Körper der Frau tun? Wollen wir ihn ausbeuten, wie wir es mit der Natur tun?
Das muss kein Ausbeuten sein: Frauen, die sich Eizellen für eine künstliche Befruchtung absaugen lassen, könnten einige der Zellen spenden.
Die Frage ist, ob diese Frauen das wirklich wollen. Die Kinder sollen ja später wissen dürfen, wer ihre biologische Mutter ist. Die künstliche Befruchtung hat ausserdem eine Erfolgsquote von nur etwas mehr als 30 Prozent. Es kann also sein, dass die Frau mit ihren eigenen Eizellen nicht schwanger wurde, eine fremde Empfängerin hingegen schon. Diesen Gedanken muss eine Frau auch noch aushalten können.
Ein Frauenarzt sagte vor kurzem, dass keine Schweizer Frau freiwillig ihre Eizellen spenden würde.
Eben. Meistens sind es finanziell schlechter gestellte Frauen, die der Fortpflanzungsindustrie Eizellen zur Verfügung stellen.
Lässt man die Eizellenspende in der Schweiz zu, würde man das Ausbeuten ausländischer Frauen stoppen. Ist das nicht ehrlicher?
Diese Frage bleibt offen. Heute reisen Schweizer Paare für den Eingriff ins Ausland. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dann Frauen aus ärmeren Ländern in die Schweiz kommen werden, um ihre Eizellen zu spenden.
Ist das tatsächlich zu erwarten?
Ja. Die soziale Not ausländischer Frauen nützt man dann einfach hier aus statt in Spanien oder anderswo.
Auch Studentinnen könnten sich ein Zubrot verdienen.
Die wenigsten Frauen setzen sich den Risiken freiwillig aus – sondern weil sie Geld brauchen. Damit nützt man ihre finanzielle Notlage aus. Sicher: Warum sollen sie nicht die Freiheit haben, Teile ihres Körpers zu verkaufen? Man muss sich aber im Klaren sein: Das ist eine Form der Prostitution.
Vier von fünf Behandlungen im Ausland betreffen Eizellenspenden. Befürworter sagen, diesen Fortpflanzungstourismus müsse man endlich unterbinden.
Dieses Argument zieht nicht. Die Eizellenspende ist nicht weniger problematisch, weil sie im Ausland erlaubt ist.
Die Methoden der Ärzte sind im Ausland oft riskanter als hier: Sie setzen mehr Embryonen ein oder behandeln ältere Frauen.
Ich zweifle, dass es in der Schweiz längerfristige strengere Regeln gäbe.
Warum?
Erfahrungsgemäss senkt das Parlament meist rasch die Hürden, wenn ein Verfahren einmal zugelassen ist. Der Grund ist die Lobbyarbeit der Interessenvertreter. Es geht schliesslich um ein grosses Geschäft. Die Schweiz hat eine sehr hohe Dichte an Fortpflanzungskliniken – das führt zu einer grossen Konkurrenz. Und dann wird vieles gemacht.
Der italienische Arzt Severin Antinori kam 2006 in die Kritik, weil er einer 62-jährigen Frau zu einem Kind verhalf. Das wäre hier doch nicht möglich.
Warum nicht? Ich höre häufig das Argument: Wenn ein 70-jähriger Mann noch Vater werden kann, warum soll dann nicht eine Frau in diesem Alter noch Mutter werden? Das wäre ja auch eine Art Gleichstellung.
Das heisst: Mit dem Argument der Gleichstellung müsste alles, was beim Mann möglich ist, auch bei der Frau erlaubt sein?
Ja, sofern man keine anderen Kriterien gelten lässt.
Die jetzige Situation schliesst alle Frauen von der Mutterschaft aus, die keine gesunden Eizellen produzieren. Ist das nicht ungerecht?
Eine Frau hat das Recht, die Fortpflanzungsmedizin in Anspruch zu nehmen. Aber sie hat keinen Anspruch auf die Eizelle einer anderen Frau. Sie hat kein Recht, Methoden zu beanspruchen, welche die körperliche Integrität einer anderen Frau verletzen und diese erhöhten Risiken aussetzen.
Befürworter sagen auch: Wem das Kinderwohl am Herzen liegt, der müsse die Eizellenspende zulassen. Gesetze in der Schweiz würden das Kind besser schützen als im Ausland.
Ein Kind, das aus einer künstlichen Befruchtung in Spanien entsteht, hat hier den gleichen rechtlichen Status wie jedes andere Kind. Es muss einfach geklärt sein, wer die biologische Mutter ist, damit das Kind die Möglichkeit hat, später mit ihr Kontakt aufzunehmen.
Die Befürworter sagen, mit einem Register sei dies in der Schweiz gewährleistet. In Spanien gibt es die anonyme Eizellenspende. Das Kind erfährt nie, wer seine Mutter ist.
Wir müssten hier in der Schweiz zuerst beweisen, dass wir in der Lage sind, Register zu schaffen, die funktionieren. Bisherige Erfahrungen zeigen das Gegenteil.
Zum Beispiel?
Beim Register mit Listen von Organspendern zeigte sich: Dritte können es leicht manipulieren. Ein weiteres Beispiel ist das Register «Meine Impfung», eine Art Impfbüchlein im Internet: Die Behörden mussten es wegen schwerwiegender Mängel beim Datenschutz schliessen.
Jedes Jahr reisen 500 Paare für eine künstliche Befruchtung ins Ausland. Die Erträge dieser Therapie würden in der Schweiz bleiben.
Hier geht es um mehr als Geld. Sollen wir die körperliche Integrität der Frau gegen Geld eintauschen und den Körper von sozial schlecht gestellten Frauen ausbeuten?
Das wollen offenbar die Befürworter.
Die Fortpflanzungsmedizin ist eine Industrie geworden. Frauen und Männer verkaufen Eizellen oder Sperma – oder leihen gar ihren Körper aus, wie etwa bei der Leihmutterschaft. Es findet ein Ausverkauf des Körpers statt. Meist steht finanzielle Not dahinter. Wer die Gewinne macht, riskiert seine Gesundheit nicht.
Ruth Baumann-Hölzle
Die 64-jährige Ethikerin ist Geschäftsführerin der Stiftung Dialog Ethik in Zürich und unter anderem Mitglied der Ethikkommission des Kantons Zürich. Von 2001 bis 2013 war sie Mitglied der Nationalen Ethikkommission. Ruth Baumann-Hölzle ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.