Fremde Menschen machen mir Angst. Deshalb fällt es mir schwer, mit ihnen zu reden. Ich studiere an der Uni, habe also Hunderte von Mitstudenten. Doch ich traue mich nicht, jemanden anzusprechen. Es ist, als ob zwischen mir und anderen eine unsichtbare Wand steht, die ich nicht überwinden kann. Um möglichst nicht aufzufallen, sitze ich immer nur still an meinem Platz. Deshalb denken die anderen, ich wolle nichts mit ihnen zu tun haben, und lassen mich in Ruhe. So stehe ich in den Pausen meistens allein da.
Wenn ich wohl oder übel mit jemandem sprechen muss, ist mir das unangenehm. Ich habe dauernd Angst, etwas Falsches zu sagen. Schlimm sind Gruppenarbeiten. Weil ich nicht weiss, wie ich mich richtig verhalten soll, sage ich so wenig wie möglich. Wenn ich einen Vortrag halten muss, bin ich extrem nervös. Ich habe grosse Mühe zu sprechen. Manchmal weiss ich gar nicht mehr, was ich sagen muss, und habe mit Blackouts zu kämpfen. Solche Situationen verstärken meine Angst noch mehr.
Fremde Menschen sind mir unangenehm, seit ich denken kann. Ich war ein überbehütetes Kind und fühlte mich zu Hause geborgen. Ich sah keine Notwendigkeit, mich für andere Menschen zu interessieren.
Aber als Jugendliche hatte ich in der Schule grosse Probleme wegen meiner Unfähigkeit, Kontakte zu knüpfen. Ich war eine gute Schülerin und lernte gern. Meine Mitschüler dagegen mochten die Lehrer nicht. Das konnte ich nicht begreifen und wollte daher nichts mit ihnen zu tun haben. Deshalb mobbten sie mich mehrere Jahre lang. Ich hatte eine einzige Freundin. Sie ist mir bis heute geblieben, was für mich ein grosser Trost ist.
Mit 17 ging ich das erste Mal zu einer Psychologin. Trotz vieler Sitzungen besserte sich meine Situation nicht. In den letzten Jahren suchte ich immer wieder einen neuen Therapeuten – erfolglos. Ich bekam jeweils nur Medikamente gegen Depressionen. Damit fühlte ich mich zwar etwas besser, doch mein Problem war nicht gelöst. Aus diesem Grund habe ich diesen Sommer im Internet Kontakt zu anderen Betroffenen gesucht. Tatsächlich haben sich einige gemeldet. Der Austausch tat mir gut. Denn diese Leute wussten genau, wovon ich sprach und umgekehrt. Inzwischen sind die meisten Kontakte leider wieder im Sand verlaufen.
Deshalb habe ich kürzlich ein neues Inserat geschaltet. Wieder haben sich einige Leute gemeldet. Ich will mein Leben verändern, Kontakte finden. Das ist mein Ziel.
Am liebsten würde ich mir einen Job in einem Restaurant suchen. Hätte ich meine Sozialphobie nicht, wäre ich ständig unter Leuten. Ich würde in eine Wohngemeinschaft ziehen, in der Freizeit mit Freunden die Welt entdecken und Sport treiben.
Sozialphobie: Rückzug vor den Mitmenschen
Betroffene leben in ständiger Angst, sich vor anderen Menschen zu blamieren. Sie vermeiden daher Kontakte und Situationen, die sie als peinlich empfinden, zum Beispiel Vorstellungsgespräche. Symptome sind Erröten, Atemnot, Schwindel, Herzklopfen, Schweissausbrüche bis hin zu Sprechschwierigkeiten, Durchfall, Übelkeit und Brechreiz. Viele vereinsamen und erkranken an einer Depression. Psychotherapie und Entspannungsübungen wie Autogenes Training können Betroffenen helfen.
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