Die Besucher des World Economic Forum in Davos GR durften vor zwei Jahren ein neuartiges Joghurt probieren. Es enthielt Urolithin A. Diesen Stoff scheiden Bakterien im Darm aus, wenn sie etwa Früchte oder Nüsse verdauen. Urolithin A steht im Ruf, die Gesundheit von Senioren zu verbessern. Der Stoff erhöht angeblich die Muskelkraft und lindert Rheumaschmerzen. Das «NZZ Magazin» schrieb gar, es handle sich um ein «Elixier gegen das Altern».
Vom Joghurt mit Urolithin A hört man mittlerweile nichts mehr. Aber die Firma Amazentis aus Lausanne verkauft jetzt unter dem Namen «Mitopure» Kapseln mit Urolithin A. Für eine Packung zahlt man rund 115 Franken. Sie soll einen Monat lang reichen. Gegründet hat die Amazentis der frühere ETH-Präsident Patrick Aebischer – mit Hilfe des Lebensmittelkonzerns Nestlé.
Urolithin A stärkt die Muskeln nicht
Fachleute halten nichts von Präparaten mit Urolithin A. Eine in der Fachzeitschrift «Jama Network Open» publizierte Studie mit 66 Senioren zeigte vergangenes Jahr: Der Stoff verbessert die Muskelkraft nicht. Zwar schluckten die Teilnehmer die doppelte Tagesdosis von Urolithin A – trotzdem schnitten sie bei Tests kaum besser ab als Senioren, die ein Scheinmedikament erhielten. Der Berner Pharmakologe Bernhard Lauterburg sagt deshalb: «Schade ums Geld.»
Urolithin A gehört zu einer neuen Klasse von Wirkstoffen, den sogenannten Postbiotika. Mit diesem Begriff sind verschiedenste Stoffe gemeint, die Bakterien im Darm ausscheiden und die der Gesundheit nützen sollen. Hersteller von solchen Produkten möchten damit ein Geschäft machen – denn mit ähnlichen Präparaten, den sogenannten Präbiotika und Probiotika, haben sie in den letzten Jahren viel Geld verdient. Präbiotikaprodukte enthalten Nahrungsfasern, die nützliche Bakterien im Darm fördern sollen. Probiotika bestehen aus lebenden Bakterien (siehe Tabelle im PDF).
Inzwischen gibt es weitere Hersteller, die Postbiotikaprodukte verkaufen. Die «Postbiotika-Kapseln» der Firma Lee-Group aus Rothenburg LU zum Beispiel enthalten ein Pulver aus Stoffwechselprodukten von Backhefe. Das Pulver könne die Darmgesundheit sowie das Immunsystem stärken und Allergiesymptome vermindern, verspricht der Hersteller. Eine Studie von US-Forschern mit 116 Teilnehmern zeigte aber: Leute, die ein Hefepräparat nahmen, waren etwa gleich oft erkältet wie Teilnehmer, die auf das Mittel verzichteten.
Andere Hersteller setzen auf kurzkettige Fettsäuren, die Bakterien ausscheiden, zum Beispiel auf Buttersäure. Dieser Stoff entsteht, wenn Bakterien Nahrungsfasern aus Früchten und Gemüsen verdauen. Die slowenische Firma Sensilab verkauft Kapseln mit Buttersäure. Laut Werbung sollen sie bei Magen- und Darmbeschwerden helfen. Fachleute der Cleveland Clinic (USA) haben den Nutzen von Buttersäure untersucht. Ihr Fazit: Es ist nicht erwiesen, dass Buttersäurekapseln etwas bringen. Man solle stattdessen faserreiches Gemüse und Früchte essen. Experte Bernhard Lauterburg sagt: «Das ist eine vernünftige Empfehlung.»
Besser ein Naturejoghurt mit geraffeltem Apfel
Der Arzt Etzel Gysling ist Herausgeber der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik». Er bestätigt: Für den Nutzen von Postbiotikakapseln gebe es keine überzeugenden Beweise. Unbestritten ist: Eine gute Darmflora ist wichtig für die Gesundheit. Um die Darmflora aufzubauen, braucht es aber keine teuren Kapseln – denn gesunde Bakterien und Nahrungsfasern kommen in vielen Lebensmitteln vor. Milchprodukte wie Joghurt und Kefir oder fermentiertes Gemüse wie Sauerkraut und Kimchi enthalten besonders viele gesunde Stoffe. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser rät, täglich ein Bifidus-Naturejoghurt mit einem geraffelten Apfel zu essen.
Die Firma Amazentis schreibt, Studien hätten gezeigt, dass ihr Produkt «Mitopure» wirksam und sicher sei. Allerdings hat die Firma diese Studien meist selber finanziert und liess sie von Amazentis-Mitarbeitern durchführen. Die Firma Lee-Group sagt, eine ausgewogene Ernährung sei wichtig für die Gesundheit. Die «Postbiotika-Kapseln» könnten etwa bei Leuten, die wegen einer genetischen Veranlagung zu wenig Nährstoffe aufnehmen, Defizite ausgleichen.
Tipps: So fördern Sie Ihre Darmflora
- Essen Sie regelmässig Milchprodukte wie Joghurt, Käse und Buttermilch.
- Setzen Sie auf mediterrane Ernährung mit viel Gemüse, Hülsenfrüchten, Fisch und Obst.
- Essen Sie Flohsamen: Deren Nahrungsfasern fördern gesunde Bakterien.
- Essen Sie wenig rotes Fleisch, Fett und Zucker. Diese Lebensmittel und Zutaten lassen die Darmflora verarmen.
- Nehmen Sie bei Grippe, Bronchitis oder Schnupfen keine Antibiotika: Diese wirken dagegen nicht und beschädigen die Darmflora.