Ein Sonntagmorgen im Oktober: In der Eingangshalle des Zürcher Gewerbezentrums Technopark sind zahlreiche Messestände aufgebaut. Überall hängen Bilder von glücklichen Babys, grossen Kinderaugen und kleinen Händen. Ein Plakat zeigt, wie ein lachendes Kind über ein Feld läuft, gleich lässt es seinen Drachen steigen. An den Ständen stehen Vertreter ausländischer Kliniken, die künstliche Befruchtung anbieten – etwa die spanische IVF-Spain, die russische Klinik Art of Birth oder die bulgarische Klinik Nadezhda. Das Publikum: Schweizer Paare, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können – und die im Ausland eine künstliche Befruchtung durchführen lassen möchten.
Bei der Messe handelt es sich um das erste «Kinderwunsch Info Weekend» in der Schweiz. Veranstalterin ist die Zürcher Firma Airdoc Health Travel. Sie verdient ihr Geld, indem sie medizinische Behandlungen im In- und Ausland koordiniert. Die Firma zeigte sich «positiv überrascht» vom Interesse. Über 400 Besucher seien gekommen.
Pikant: Die Kliniken warben an dieser Messe für Methoden, die in der Schweiz verboten sind. Zum Beispiel für die Eizellenspende: Dabei spenden oder verkaufen Frauen ihre Eizellen an kinderlose Paare. Doch das Verfahren ist riskant: Die Spenderinnen müssen sich zuerst Hormone spritzen lassen, damit mehrere Eizellen reifen. Danach folgt ein chirurgischer Eingriff: Der Arzt saugt die Eizellen mit einer Hohlnadel aus dem Eierstock. Das kann zu Infektionen und verdrehten Eierstöcken führen (Gesundheitstipp 4/2021).
Damit nicht genug: Die Spenderinnen der Eizellen bleiben in vielen Ländern anonym – etwa in Griechenland, Spanien oder Tschechien. So erfährt das Kind nie, wer seine leibliche Mutter ist. Das ist in der Schweiz verboten. Im Gesetz über die Fortpflanzungsmedizin steht: Kinder haben das Recht zu wissen, wer ihre biologischen Eltern sind. Franziska Wirz von der Beratungsstelle Appella sagt: «Wer Werbung für eine anonyme Eizellenspende macht, dem ist das Kindeswohl egal.»
Was es bedeutet, einen Elternteil nicht zu kennen, zeigt das Beispiel des 40-jährigen Hannes Streif aus Wettingen AG: Er weiss nicht, wer sein leiblicher Vater ist. Dieser hatte dem Inselspital Bern anonym Samen gespendet. Streif sagt: «Ich hätte meinen Erzeuger gern gekannt.» In die Suche hat er schon «Hunderte Stunden» investiert. «Die Lücke bleibt ein Leben lang.»
Eierstockverjüngung: Methode mit Tücken
An der Messe warben Kliniken aus Griechenland und Spanien auch für eine neue Methode der Fruchtbarkeitsmedizin: die sogenannte Eierstockverjüngung. Dabei entnehmen Ärzte einer Frau Blut aus dem Arm und zentrifugieren es im Labor. So trennen sie die roten und weissen Blutkörperchen von den Blutplättchen ab. Das plättchenreiche Blutplasma enthält Wachstumsfaktoren und hilft bei der Wundheilung.
Die Ärzte spritzen der Frau das Plasma bei einem Ultraschall durch die Scheide direkt in die Eierstöcke. Das Ziel: Das Blutplasma soll das Entstehen neuer Eizellen anregen. So soll die Frau mit eigenen Eizellen schwanger werden. Der Arzt Christos Roukoudis von IVF-Spain schwärmte: Die Methode habe «gewaltiges Potenzial».
Doch Experten sind skeptisch. Michael von Wolff, Fortpflanzungsmediziner am Berner Inselspital, sagt: «Das ist keine Wundertechnik.» Es gebe keine Studie, die den Nutzen belege. Bisher gebe es nur einzelne Fallbeispiele. Hinzu kommt: Das Verfahren hat seine Tücken. Laut Michael von Wolff ist es schwierig, das Plasma an die richtige Stelle zu spritzen: Die Eibläschen, in denen die Eizellen reifen, liegen unmittelbar unter der Oberfläche der Eierstöcke. «Man kann nur hoffen, dass das Plasma zu den Eibläschen gelangt», sagt von Wolff. Damit eine Eizelle wächst, braucht es noch weitere Stoffe. «Es ist völlig unklar, ob die Blutplättchen auch diese bilden können.»
Leihmutterschaft: Referat «nicht zulässig»
Auffällig: Über die Leihmutterschaft fiel an der Kinderwunschmesse kein Wort. Leihmütter tragen gegen Bezahlung ein Kind aus und übergeben es nach der Geburt dem unfruchtbaren Paar. Das ist in vielen Ländern erlaubt, zum Beispiel in Griechenland, Portugal und in der Ukraine. In der Schweiz hingegen ist nur schon das Vermitteln einer Leihmutter verboten. An der Messe war auch ein Referat darüber geplant. Der Basler Verein Biorespect intervenierte aber bei der Zürcher Gesundheitsdirektion und wies darauf hin, dass Firmen an der Messe möglicherweise für die Leihmutterschaft werben. Die Firma Airdoc Health Travel bestätigt dem Gesundheitstipp, im Vorfeld der Messe habe es einen «Austausch» zwischen ihr und der Gesundheitsdirektion gegeben. Die Behörde habe das Referat einer Klinik über die Leihmutterschaft als «nicht zulässig» erachtet. Airdoc schreibt: «Wir hoffen, dass wir das Thema am nächsten ‹Kinderwunsch Info Weekend› im Jahr 2022 aufnehmen dürfen.»
Airdoc hält zudem fest, sie vermittle keine unfruchtbaren Paare an ausländische Kliniken. Die Erträge aus der Messe bestünden einzig aus Billetteinnahmen und Standgebühren. Sie wolle Betroffenen «neutrale und professionelle Informationen» ermöglichen.
Christos Roukoudis von IVF-Spain sagt zur Eizellenspende, die Anonymität sei in Spanien fester Bestandteil des Verfahrens. Es sei rechtlich streng reguliert. Zur Eierstockverjüngung erklärt er, Studien hätten gezeigt, dass die Zahl der Eizellen nach einigen Monaten erhöht sein könne. Die Klinik Garavelas Medical Group schreibt, nach griechischem Recht könne das Kind aufgrund eines Gerichtsurteils die biologische Eizellenspenderin kennenlernen.
Beratung für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch
Beratungstelefon Appella, Tel. 044 273 06 60, www.appella.ch