Trainieren mit Strom sei besonders wirksam: Das behauptet das Zürcher Fitnesscenter EMS Sportwelt auf seiner Homepage. Dabei schlüpft man ohne Unterwäsche in einen speziellen schwarzen Anzug, der Elektroden enthält. Die Abkürzung EMS steht für Elektromyostimulation. Alle paar Sekunden bewirken elektrische Impulse, dass sich die Muskeln zusammenziehen.
Dank dem Strom würden die Muskeln schneller wachsen als mit dem üblichen Krafttraining, verspricht EMS Sportwelt. Deshalb sei das EMS-Training besonders geeignet für vielbeschäftigte Leute, die wenig Zeit für Sport haben. Man könne damit auch abnehmen, Rückenschmerzen lindern, die Haut straffen, die Ausdauer trainieren sowie das Immunsystem stärken. Auch viele andere Fitnesscenter wie etwa E-Pulse in Bern und Body-Effizienz in Zug verkaufen EMS-Trainings.
Fachleute raten davon ab. Der Sportwissenschafter Nicola Maffiuletti von der Zürcher Schulthess-Klinik forscht seit Jahren zur Elektromuskelstimulation. Er sagt, die meisten Werbeversprechen seien falsch. Das EMS-Training sei weniger effizient als das klassische Krafttraining. Der Strom erreiche nicht die tiefsten Stellen der Muskulatur. Deshalb könne das EMS-Training nicht alle Muskeln trainieren, im Gegensatz zum Krafttraining mit Gewichten. Auch eine Übersichtsstudie eines internationalen Forscherteams in der Fachzeitschrift «Sports Medicine» kam zum Schluss, dass das EMS-Training weniger wirksam ist als das konventionelle Krafttraining.
Muskelverletzungen und Nierenschäden möglich
Nicola Maffiuletti warnt, das EMS-Training könne die Muskeln verletzen. Für das Personal der Fitnesscenter sei es schwierig, den Strom bei allen Kunden korrekt zu dosieren. Denn das Körperfett hemmt den Strom, aber jeder Kunde habe einen anderen Fettanteil. Und die Elektroden seien nicht immer in der optimalen Position.
Zudem passe der Rhythmus der Muskelanspannung bei den Fitnessübungen, welche die Kunden im Fitnesscenter machen, nicht immer zum Rhythmus der Stromimpulse. Und im EMS-Anzug entstehe eine hohe Temperatur. Dies könne das Risiko für Muskelschäden zusätzlich erhöhen. Deutsche Wissenschafter warnen vor Nierenschäden, weil beim Training ein Eiweiss entsteht, das die Nieren belastet. Kommt dazu: Für Kunden ist das Training unangenehm.
Die 54-jährige Elvira Hosp aus Zürich kaufte im Februar 2022 ein Jahresabonnement bei EMS Sportwelt. Das kostet pro Monat rund 200 Franken. Auch Elvira Hosp fühlte sich im Training immer wieder unbehaglich: Sie spürte manchmal Stromstösse, wenn der Instruktor Kabel nicht sauber am Anzug montierte. Unangenehm sei auch, dass das Personal den Anzug mit Wasser besprüht, damit er den Strom besser leitet.
Statt eines Stromtrainings empfiehlt der Zürcher Sportwissenschafter Maffiuletti ein konventionelles Krafttraining. Auch das hochintensive Intervalltraining sei gut geeignet, um die Muskelmasse zu vergrössern.
Elvira Hosp wollte das Abonnement bei EMS Sportwelt auflösen. «Ich möchte lieber in einem klassischen Fitnesscenter trainieren», sagt sie. Allerdings verpasste sie die Kündigungsfrist. Das Studio hielt am Vertrag fest. Deshalb muss sie auch das Abonnement für das zweite Jahr bezahlen. «Das Training macht unter diesen Umständen noch weniger Spass als vorher», sagt Elvira Hosp. Das Fitnesscenter nahm zur Kritik nicht Stellung.
Gratis-Merkblatt «Intervalltraining: Übungen für zu Hause»
Das Merkblatt lässt sich hier herunterladen.