Es ist ruhig im Raum. Martina Rütimann bewegt sich wie in Zeitlupe. Sie verlagert ihr Gewicht und macht einen kleinen Schritt zur Seite, dann bewegt sie die Arme vor und zurück. Diese Übungen sind Teil des Tai-Chi, einer alten Kampfkunst aus China. Die 49-Jährige macht den Sport schon seit sieben Jahren. «Nach dem Tai-Chi bin ich gelassener», sagt sie. «Das Training ist für mich ein Ausgleich zum hektischen Alltag.»
Tai-Chi-Experte Hans-Peter Sibler sagt: «Im Tai-Chi führt man lange Bewegungsabläufe aus, ähnlich einer Choreografie.» Es brauche Übung, um sie sich zu merken. Das fordert nicht nur den Kopf. Forscher des Oregon Research Institute in Eugene (USA) haben Parkinsonpatienten untersucht und herausgefunden: Tai-Chi hilft, das Gleichgewicht zu verbessern und die Sturzgefahr zu verringern. Auch bei chronischen Rückenschmerzen, Kniearthrose, hohem Blutdruck und Depressionen ist der Nutzen belegt.
Allerdings braucht es fürs Training geeignete Orte – einen Park oder einen Raum. Es gibt bessere Methoden, sich zu entspannen. Dies zeigt ein Vergleich des Gesundheitstipp. Er liess sechs Entspannungstechniken von drei Experten beurteilen. Die Kriterien: Entspannungswirkung, wie stark Gehirn und Konzentration beansprucht werden und ob man die Methode überall anwenden kann, zum Beispiel im Büro, im Zug oder an der Tramhaltestelle (siehe Tabelle im PDF).
Die Fachleute setzten das Autogene Training auf den ersten Platz. Bei dieser Technik genügt es, ruhig dazusitzen oder zu liegen. Man versucht, sich geistig in Situationen zu versetzen, die entspannen. Man stellt sich zum Beispiel vor, dass man an einem klaren Bergsee sitzt und die Stirn angenehm kühl ist. In einer anderen Übung sagt man sich, dass die Arme und Beine schwer und warm werden.
Der deutsche Psychiater Claus Derra sieht im Autogenen Training einen grossen Vorteil: «In Bezug auf die kurze und unauffällige Anwendung ist es unschlagbar.» Auch der Zürcher Psychiater Heinz-Edwin Truffer betont: «Damit kann man sich ohne Hilfsmittel und überall rasch in einen medizinisch wirksamen Entspannungszustand versetzen.»
Die Wirkung des Autogenen Trainings ist gut belegt. Der deutsche Psychologe Sirko Kupper wertete 60 Studien aus und stellte fest: Das Training helfe gut bei Angst- und Schlafstörungen sowie bei Depressionen und Migräne.
Meditieren nützt bei Schmerzen und Angst
Gut entspannen kann man auch mit Meditieren. Dabei setzt man sich bequem hin, der Rücken sollte gerade sein. Anschliessend konzentriert man sich ganz auf den Atem und versucht, sich nicht von Alltagsgedanken ablenken zu lassen. Studien bestätigen, dass Meditation Aufmerksamkeit und Konzentration verbessert, chronische Schmerzen und Depressionen lindert und gegen Stress und Angstgefühle hilft (Gesundheitstipp 3/2011).
Auch die Progressive Muskelentspannung lässt sich überall anwenden, ohne dass es der Umgebung auffällt. Im Liegen oder Sitzen spannt man der Reihe nach einzelne Muskelgruppen ein paar Sekunden lang an und entspannt sie wieder. Man beginnt mit den Händen und Oberarmen und arbeitet sich danach über Schultern und Rücken bis zu den Waden hinunter. Studien belegen, dass mit der Zeit die Menge an Stresshormonen im Blut abnimmt, das Herz ruhiger schlägt, der Blutdruck sinkt und Schmerzen nachlassen (Gesundheitstipp 7/2017). Laut Truffer ist diese Methode leicht zu erlernen und lässt sich auch bei Ängsten einsetzen.
Qigong schnitt bei den Fachleuten etwas besser ab als Tai-Chi. Die Technik ist leichter zu lernen, weil die Bewegungsabläufe kürzer sind. Zudem ist Qigong gut für Gleichgewicht und Beweglichkeit. Wissenschafter der Arizona State University in den USA stellten fest, dass Qigong wie auch Tai-Chi bei über 55-Jährigen Depressionen, Ängste, Sturzgefahr und Blutdruck verringern.
Verschiedene Techniken ausprobieren
Yoga eignet sich weniger zum Entspannen. Psychiater Truffer, der auch medizinischer Leiter der Fachschule für Entspannungsmedizin Medrelax ist, sagt zudem: «Leidet man an Krankheiten der Wirbelsäule und des Bewegungsapparats, ist bei Yoga Vorsicht geboten.»
Katja Cattapan vom Sanatorium für Psychiatrie und Psychotherapie in Kilchberg ZH rät, verschiedene Techniken auszuprobieren. Nur so könne man herausfinden, worauf man anspreche. Entscheidend sei, dass man die Übungen in den Alltag einbauen könne. «Sie sollten im Büro, zu Hause und unterwegs machbar sein», sagt Cattapan.
Es gibt jedoch auch Risiken bei den verschiedenen Methoden. Laut Catherine Bissegger von der Migros-Klubschule können Entspannungsübungen unerwartete Emotionen auslösen. Heinz-Edwin Truffer betont, besonders Menschen mit seelischen Krankheiten sollten die gewählte Technik unbedingt bei Fachpersonen lernen.
Die Kurskosten muss man nicht unbedingt selber berappen: Viele Krankenkassen vergüten einen Teil der Kosten für bestimmte Entspannungstechniken – so zum Beispiel die Zusatzversicherungen von Swica, Helsana, CSS und Concordia.