Präzise Früherkennung von Prostatakrebs»: So wirbt das Universitätsspital Zürich in Facebook-Anzeigen für einen neuen Vorsorgeuntersuch: den Stockholm-3-Test. Zielgruppe: gesunde Männer im Alter von 45 bis 74 Jahren. Sie sollen sich Blut abnehmen lassen, damit aus einer Kombination von Eiweissen, DNA-Abschnitten und Angaben wie Alter und familiäre Vorbelastung das Krebsrisiko ermittelt werden kann.
Den Test hat das Karolinska-Institut in Stockholm entwickelt. Kostenpunkt: 350 Franken. Patienten müssen ihn selbst bezahlen. Auch das Universitätsspital Basel preist auf seiner Website den neuen Test an – mitsamt «Terminvereinbarung» per Mausklick. Die Vorteile gegenüber dem bekannten und umstrittenen PSA-Vorsorgetest: Er soll aggressive Prostatakrebsfälle zuverlässiger aufspüren, dadurch seien weniger Behandlungen nötig, behaupten die Unispitäler.
«Das Unispital verspricht in der Werbung zu viel»
Fachleute sehen den neuen Test kritisch. Die Zürcher Ärztin Corinne Chmiel sagt: «Ich empfehle den Test nicht. Es handelt sich um ein Forschungsprojekt, das für Patienten bis jetzt medizinisch keinen eindeutigen Vorteil bietet.» Chmiel leitet den Bereich Wissenschaft und Innovation bei Medix Schweiz, einem Zusammenschluss von Haus- und Facharztpraxen.
Sie findet: «Das Universitätsspital verspricht in seiner Werbung zu viel.» Es sei nicht bewiesen, dass der Stockholm-3-Test Prostatakrebs früher erkenne und dadurch mehr Leben rette als der heute verfügbare PSA-Test. Hinzu kommt: Für den Stockholm-3-Test muss ein PSA-Wert vorliegen, der auf Prostatakrebs hinweist.
Dabei ist der PSA-Test umstritten: Ärzte und Fachgremien empfehlen ihn nicht, da er unzuverlässig und ungenau sei. Auch die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin weist in ihrer Kampagne «Smarter Medicine» auf die Risiken des PSA-Tests hin. So erkenne er Tumore, die gar keine sind. Das führe zu Behandlungen mit schweren Folgen: Betroffene müssen eine Magnetresonanztomografie und eine Prostatabiopsie über sich ergehen lassen.
Nach einem chirurgischen Eingriff oder einer Strahlentherapie leiden drei von vier Männern unter Impotenz oder Inkontinenz, schreibt «Smarter Medicine». Solche Fälle kennt Corinne Chmiel auch aus der Praxis: «Patienten tragen Windeln und haben Mühe mit der Erektion. Sie sind am Boden zerstört.» Ein weiteres Risiko des PSA-Tests: Er erkennt längst nicht alle Tumore. Das heisst: Betroffene haben zwar Prostatakrebs, erfahren aber nichts davon, weil der Test negativ war.
Die Mehrheit der Prostatatumore würden zudem, so Ärztin Chmiel, langsam wachsen: «Wenn ein solcher Tumor erst mit 130 Jahren krank macht, dann spielt es keine Rolle, ob man ihn früh entdeckt oder nicht.» Bei den meisten Männern führe ein Prostatatumor nie zu einer relevanten Krankheit.
«Der Test hat noch nie ein Leben gerettet»
Auch der Arzt und klinische Epidemiologe Johannes Schmidt aus Einsiedeln SZ sagt: «Aufgrund der wissenschaftlichen Daten ist noch völlig unklar, was der neue Test Betroffenen überhaupt bringt.» Und: «Bisher hat er keinem Krebspatienten nachweislich das Leben gerettet.» Zum gleichen Schluss kommt das renommierte britische National Institute for Health and Care Excellence. Das Fachgremium in London hat die Studien zu Stockholm 3 gesichtet und stellt fest, dass wissenschaftliche Beweise fehlen, um den Test auf lange Sicht wirksam in der Praxis einzusetzen.
Arzt Etzel Gysling, Herausgeber der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik», rät ab von flächendeckenden Prostatatests bei gesunden Männern: «Der Nutzen ist gering.» Die Ärztin Corinne Chmiel sagt: «Bei gesunden Männern sind Prostatavorsorgetests nicht sinnvoll.» Ausnahme: wenn der Vater oder der Bruder in jungen Jahren an einer aggressiven Form von Prostatakrebs erkrankt ist. Chmiel: «Dann besteht das Risiko, selbst an aggressivem Prostatakrebs zu erkranken.»
Das Universitätsspital Zürich schreibt, grosse Studien hätten gezeigt, dass der Stockholm-3-Test besser abschneide, als wenn man nur einen PSA-Test mache. Man müsse davon ausgehen, dass man den Nutzen von Stockholm 3 noch weiter ausbauen könne. Zu dem Risiko unnötiger und riskanter Behandlungen schreibt das Spital, man habe seit über zehn Jahren grosse Anstrengungen unternommen, um Übertherapien drastisch zu minimieren – und dies «mit grossem Erfolg».
Das Universitätsspital Basel schreibt, der Stockholm-3-Test gebe das Prostatakrebsrisiko «sehr präzise» an. Studien hätten gezeigt, dass mit dem Test die Anzahl Magnetresonanztomografien fast halbiert werden könne und 20 Prozent mehr gefährliche Tumore entdeckt würden. Wie viele Todesfälle der neue Test verhindert habe, könne man erst «in den nächsten fünf Jahren» sagen, teilt das Spital mit. Stockholm 3 sei zu wenig lange auf dem Markt, um eine Angabe machen zu können.
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