Am 7. Juni 2021 brachte Ann Marie Schneider ihre Tochter Julin zur Welt – nicht im Spital, umgeben von technischen Geräten und Ärzten in weissen Kitteln, sondern auf dem Sofa in ihrem Haus im aargauischen Attelwil. Nur ihr Mann Pascal und eine Hebamme waren dabei. «Es war ein unbeschreibliches Erlebnis», erinnert sich die 23-jährige Informatikerin. «Ich musste nirgendwo hin, konnte einfach zu Hause bleiben und mich nach der Geburt mit meiner Tochter ins eigene Bett legen.»
Für Ann Marie Schneider war klar: «Ich wollte zu Hause gebären, möglichst natürlich und fern von medizinischen Geräten.» Zuvor erlitt sie zwei Fehlgeburten. Die Embryos waren plötzlich nicht mehr gewachsen. Sie musste ins Spital. Dort gab man ihr Wehenmittel. Die technischen Apparate schreckten sie ab. Für sie war klar: «Wenn ich nochmals schwanger werde und das Kind gesund ist, möchte ich es zu Hause zur Welt bringen.» Ihr Mann unterstützte sie dabei.
Hausgeburten sind noch immer die Ausnahme
Die Nachfrage nach Hausgeburten ist in der Schweiz zwar leicht gestiegen, wie Statistiken zeigen. Aber sie sind noch immer die grosse Ausnahme: Rund 98 von 100 Müttern gebären im Spital, jede dritte von ihnen per Kaiserschnitt im Operationssaal.
Doch Frauen, die eine Hausgeburt möchten, haben es schwer. Viele Ärzte warnen vor den Risiken. So rät die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zur Geburt im Spital oder in einem Geburtshaus, das eng mit einem Spital zusammenarbeitet. Das sei wichtig für den Fall, dass es zu Komplikationen komme. Dieser Fokus auf Risiken schafft Ängste.
Hebamme Sandra Egli aus Schönholzerswilen TG ist spezialisiert auf Hausgeburten. Sie sagt: «Diese Ängste spüre ich oft in Gesprächen mit Paaren.» Und Ann Marie Schneider hörte aus dem Bekanntenkreis den Vorwurf, dass sie ihr Baby einem Risiko aussetze.
Arzt Reiner Bernath aus Solothurn winkt ab: «Bei gesunden Frauen mit kleinem Risiko und dem nötigen Vertrauen spricht gar nichts gegen eine Hausgeburt.» Im Gegenteil: Hausgeburten haben viele Vorteile für Mutter und Kind. Studien zeigten: Sie sind genauso sicher wie Geburten im Spital. Es kommt zu deutlich weniger Eingriffen oder Verletzungen am Damm. Bernath sagt, die Mutter könne sich in den Pausen zwischen den Wehen besser entspannen. Das fördere die Durchblutung und versorge das Kind besser mit Sauerstoff. Laut Hebamme Marianne Indergand aus Kerns OW haben Frauen, die zu Hause gebären, oft weniger Probleme beim Stillen. «Sie haben mehr Ruhe und fühlen sich nicht kontrolliert.» Das helfe beim Stillen.
Paare haben zudem oft Schwierigkeiten, eine Hebamme zu finden, die sie zu Hause begleitet. Auf Hebamme.ch gibt es unter «Hausgeburten» kaum Einträge. Auch A. F. wollte zu Hause gebären. «Ich musste fast 30 Hebammen anrufen, bevor ich eine fand, die Hausgeburten betreut und freie Termine hatte», erzählt die Winterthurerin.
Hebamme muss rund um die Uhr einsatzbereit sein
Die Hebamme Sandra Egli bestätigt das: «Nur wenige Kolleginnen bieten Hausgeburten an.» Eine Hausgeburt ist ab Woche 37 bis Woche 42 der Schwangerschaft möglich. In diesen fünf Wochen muss die Hebamme jederzeit einsatzbereit sein. Viele möchten nicht mehr rund um die Uhr zur Verfügung stehen.
Rafaela Joos, Co-Präsidentin der Sektion Geburtshaus- und Hausgeburtshebammen, sagt: «Gerade junge Hebammen sind dazu häufig nicht bereit.» Hebamme Karin Künzle aus Teufen AR bestätigt: «Man hat das Handy Tag und Nacht bei sich.» Die ständige Rufbereitschaft sei schwer vereinbar mit dem Privatleben: «Ich fragte mich ständig: Schaffe ich es an die Taufe meines Gottenkindes? Kann ich meinen Partner an sein Konzert begleiten?» Und: «Wenn man krank ist, geht man eventuell doch zur Geburt, weil man der Frau die Hausgeburt ermöglichen möchte.»
Krankenkasse bezahlt Hebamme nur für Geburt
Für viele Hebammen ist auch der Lohn ein Problem. Die Krankenkassen bezahlen zwar die Präsenz der Hebammen bei der Geburt und das verwendete Material. Doch das Pikettgeld – die Entschädigung für die Rufbereitschaft der Hebamme – müssen die Eltern selbst bezahlen. Die Höhe liegt im Ermessen der Hebamme und beträgt um die 500 bis 1000 Franken für fünf Wochen Pikettdienst. Manchmal beteiligt sich die Gemeinde an den Kosten. Falls das nicht der Fall ist, kann das Paar ein Gesuch an die Krankenkasse stellen, die vielleicht einen Teil davon übernimmt. Hebamme Joos spricht von einem «Systemfehler». Auch Ann Marie Schneider war deswegen irritiert. Zwar hätte ihre Krankenkasse fünf Tage bezahlt für eine Spitalgeburt. Doch das viel tiefere Pikettgeld wollte sie nicht übernehmen.
Für Ann Marie Schneider ist aber klar: «Das war es uns wert.» Und auch die Appenzeller Hebamme Karin Künzle möchte weiterhin Hausgeburten begleiten: «Das ist jedes Mal ein wunderschönes Erlebnis», sagt sie.
Hausgeburt: So entscheiden Sie richtig
- Eine Hausgeburt kommt infrage, wenn Sie gesund sind, Ihr Kind in Kopflage im Bauch liegt und die Schwangerschaft ohne Komplikationen verläuft.
- Besprechen Sie mit Ihrem Mann, wie er zu einer Hausgeburt steht, und entscheiden Sie gemeinsam.
- Bedenken Sie, ob Ihre Nachbarschaft die Geräusche während der Geburt verträgt.
- Suchen Sie eine Hebamme in Ihrer Region, die Hausgeburten betreut, zum Beispiel im Internet über Hebamme.ch.
- Überlegen Sie, in welchem Zimmer Sie gebären möchten. Idealerweise liegt es im Erdgeschoss in der Nähe eines WC.
- Organisieren Sie die Betreuung für Ihre älteren Kinder. Die Geburt verläuft entspannter, wenn sie nicht dabei sind.
- Packen Sie vorsorglich eine Spitaltasche, und organisieren Sie eine weitere Person, die Sie im Notfall dorthin fahren könnte.
- Hilfreiche Websites: Hebamme.ch, Swissmom.ch.
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