Thomas Hohensee, sind Sie ein fauler Mensch?
Das kommt auf den Blickwinkel an: Einige Menschen würden sagen, ich sei sehr fleissig. Ich schreibe im Durchschnitt ein Buch pro Jahr. Zudem arbeite ich als Coach für stressgeplagte Menschen.
Sie empfehlen in Ihren Büchern, man solle weniger arbeiten. Sie selber halten sich also nicht an Ihren Ratschlag?
Halt! So stimmt das nicht. Manche Menschen würden schon sagen, dass ich faul bin. Denn ich strenge mich beim Bücherschreiben nicht an. Es fällt mir leicht. Und Coaching mache ich maximal zwei Stunden pro Tag. Insgesamt arbeite ich nur etwa 20 Stunden pro Woche. Den Fleissigen wäre das entschieden zu wenig. Aber ich bin überzeugt: Wir wären gesünder, wenn wir weniger arbeiten und konsumieren würden.
Aber Faulheit ist doch eine schlechte Charaktereigenschaft.
Aus meiner Sicht hat Faulheit auch eine positive Seite. Früher besassen die Menschen einen natürlichen Sinn für gesunde Faulheit. Schauen Sie sich die Löwen an: Wenn sie genug gefressen haben, liegen sie stundenlang im Schatten von Bäumen. Für mich ist Faulheit okay.
Warum soll Faulheit gesund sein?
Weil der Körper und die Seele Zeit brauchen, um sich zu erholen. Stress erhöht unter anderem den Blutdruck und schwächt das Immunsystem. Immer mehr Menschen leiden unter Schlafstörungen oder Burnout.
Herumliegen ist doch auch ungesund. Der Mensch braucht schliesslich Bewegung.
Das stimmt. Aber auch beim Sport übertreiben es viele Menschen. Sie hören erst auf, wenn sie Muskelkater oder Schmerzen kriegen. Das Marathonlaufen ist heute sehr populär. Aber viele Marathonläufer handeln sich Gelenkprobleme ein. Einige brechen unter der extremen Belastung tot zusammen. Vieles, was bei uns als Freizeitsport gilt, ist in Wirklichkeit Leistungssport.
Sie führen ein angenehmes Leben. Aber eine Kassiererin im Supermarkt kann sich die 20-Stunden-Woche nicht leisten, weil sie zu wenig verdient.
Im Moment ist das so. Hier müsste die Politik eingreifen. Ich bin dafür, dass alle ein Grundeinkommen erhalten, das die Lebenskosten deckt – egal, ob sie eine Arbeitsstelle haben oder nicht.
Dann würde niemand mehr arbeiten.
Das glaube ich nicht. Wer überlastet ist, träumt davon, am Strand zu liegen und nichts zu tun. Aber wer sich das unbegrenzt leisten kann, empfindet sein Leben bald als langweilig und sinnlos. Die Menschen wollen etwas tun – aber etwas, das ihnen Freude bereitet. Der ziellose, hektische Aktivismus, der mittlerweile vorherrscht, macht viele Leute kaputt.
Zur Person: Thomas Hohensee
Der 58-Jährige lebt und arbeitet als Coach und Buchautor in Berlin. In seinem neuesten Buch «Lob der Faulheit» (Gütersloher Verlagshaus, ca. Fr. 26.–) plädiert er dafür, weniger zu arbeiten und sich mehr Zeit für Musse und Hobbys zu nehmen.