Nach draussen wage ich mich kaum mehr. Das wäre viel zu gefährlich. Allein im letzten Jahr mussten mich die Ärzte wegen Allergien sechs Mal wiederbeleben, in diesem Jahr zwei Mal.
Ich bin gegen rund 80 Duftstoffe allergisch. Probleme bereiten mit Parfüms, Aromen von Zitrusfrüchten, Kampferdüfte, Pfefferminzöle und andere stark duftende Essenzen. Diese Düfte sind überall. Bei mir können sie einen allergischen Schock auslösen. Dann bekomme ich keine Luft mehr. Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt noch lebe.
Aus dem Haus gehe ich nur, wenns sein muss. Zum Beispiel für Arztbesuche. Dann mache ich ganz früh oder ganz spät einen Termin ab, so dass ich möglichst wenigen Leuten begegne. Ich fahre per Taxi hin. Immer mit dem gleichen Fahrer: Viktor raucht nicht, kaut keine Kaugummis, benützt kein Aftershave. Ohne ihn und die Spitex wäre ich aufgeschmissen. Die Spitexfrauen kaufen für mich ein, putzen und hängen die Wäsche auf. Donnerstags kommt noch jemand, um mir Gesellschaft zu leisten, damit ich nicht vereinsame.
Ich koche selbst. Heute Mittag gab es Eisbergsalat und Pouletstreifen. Ich muss genau überlegen, was ich kochen darf. Denn auch Mandeln, Spinat, Erdbeeren oder Tomaten sowie künstliche Farbstoffe können bei mir einen Anfall auslösen. Den ersten hatte ich mit 27 Jahren nach einer Operation. Seither kommen ständig mehr Stoffe dazu. In meinem medizinischen Gutachten aus dem Jahr 2000 standen 36 Stoffe, die mir schaden. Kürzlich musste ich wieder ins Spital. Im neuen Austrittsbericht sind mehr als doppelt so viele Stoffe aufgelistet.
Sogar im Unispital fühle ich mich nicht sicher. Dort bekomme ich zwar eine Spezialdiät und ein Einzelzimmer. An der Tür hängt ein Schild, auf dem steht: «Vorsicht, in diesem Zimmer liegt ein Duft- und Polyallergiker.» Doch als ich im März da war, stand trotzdem irgendwann ein Arzt an meinem Bett, der ein Parfüm verwendete. Das löste bei mir einen Schock aus. Ich bekam keine Luft mehr und geriet in Panik. Ein anderer Arzt spritzte mir Adrenalin. Das weitet die Atemwege wieder. Dann kam ich einen Tag auf die Intensivstation.
Zum Glück bin ich nicht gegen meine Haustiere allergisch. Mein Liebling ist ein Pantherchamäleon-Männchen aus Madagaskar. Er heisst «Blauer Stern». Er merkt, wenn es mir schlecht geht. Dann kommt er in seinem Terrarium so nahe zu mir wie möglich. In meinen kleinen exotischen Zoo halte ich auch ein zwölf Zentimeter langes Buschkrokodil, einen Schmuckhornforsch, Halsbandleguane und einen Jungferngecko. Der Regenwald hat mich schon immer begeistert. Früher arbeitete ich im Büro von Bruno Manser, dem Umweltaktivisten, der sich auf Borneo für ein eingeborenes Volk engagierte. Heute lebe ich von der IV. Reisen kann ich leider nicht mehr.
Mein grösster Wunsch ist es, weniger einsam zu sein. Zwei gute Freunde haben im letzten Jahr den Kontakt zu mir abgebrochen. Vielleicht hatten sie Angst, mich in Gefahr zu bringen. Zudem wünsche ich mir, öfter rauszukommen. Wie vor drei Jahren, als Freunde einen Ausflug organisierten. Wir fuhren mit dem Auto ins Appenzellische und dann mit der Gondel zum Bergrestaurant Aescher-Wildkirchli. Ein schöner Tag. Doch auf dem Rückweg begegnete mir jemand mit Parfum. Die Rega flog mich als Notfall nach St. Gallen. Zum Glück passierte es erst auf dem Heimweg.
Polyallergie – jährlich sterben bis zu 25 Personen
Betroffene reagieren allergisch auf Insektenstiche, Nahrungsmittel, Medikamente oder Duftstoffe. Zu den häufigsten Symptomen gehören Hautausschlag, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel oder Atemnot. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem allergischen Schock. Gemäss dem Allergiezentrum Schweiz aha! betrifft dies jedes Jahr 850 Personen. 10 bis 25 sterben daran. Deshalb müssen Betroffene immer ein Notfallset mit Adrenalin-spritze und weiteren Medikamenten bei sich tragen.
Information: www.aha.ch