Der 86-jährige Franz Köpfli aus Zürich sagt mit einem Augenzwinkern: «De Köpfli hett gern es guets Tröpfli.» Der Gesundheitstipp trifft ihn und seine 91-jährige Frau, mit der er seit über 60 Jahren verheiratet ist, beim Spazieren am Zürichsee. «Lucia und ich trinken zwei Mal in der Woche ein Glas Rotwein.» Früher habe er mehr getrunken, sagt Köpfli. Nach der Pensionierung sei er einmal pro Woche mit seinen Freunden in den Ausgang. «Manchmal bin ich leicht schwankend nach Hause gekommen.
Lucia fand das nicht so lustig», erinnert er sich. Seine Frau habe auf ihn aufgepasst, und er habe ihre Warnung vor dem Alkohol ernst genommen. Köpflis sind kein Einzelfall. Umfragen des Bundesamtes für Gesundheit von 1992 bis 2022 zeigten: Mit zunehmendem Alter wird mehr Alkohol getrunken. Bei den ab 65-Jährigen trinkt jeder dritte Mann und jede siebte Frau täglich Alkohol. Bei der übrigen Bevölkerung ist es im Durchschnitt nur jeder Zehnte. «Diese Zahlen sind besorgniserregend», sagt die Psychologin Petra Bald von der Suchtfachstelle Zürich.
Es sei riskant, jeden Tag Alkohol zu konsumieren. Durch die tägliche Trinkroutine gewöhne sich der Körper an die Substanz. Um dieselbe Wirkung zu erreichen, braucht es eine stetig höhere Dosis. Neue Daten aus der Forschung zeigen: Schon kleine Mengen Alkohol schaden der Gesundheit («Saldo» 8/2024). Die deutsche Gesellschaft für Ernährung hält fest, dass es keine risikofreie Menge für einen unbedenklichen Konsum gebe.
Schon geringe Mengen Alkohol erhöhen das Risiko für Unfälle oder Verletzungen sowie für Brust- und Dickdarmkrebs, Herz-Kreislauf- und Leber-Krankheiten.
Alkohol wirkt im Alter länger und stärker
Gerade Ältere sind gefährdet. Petra Bald sagt: «Die Stoffwechselprozesse verlangsamen sich im Alter, und der Wassergehalt im Körper nimmt ab.» Weil sich der Alkohol langsamer abbaue, wirke er länger und stärker. Kommen Schlaflosigkeit, Depressionen oder Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck hinzu, häufen sich die negativen Effekte. «In Verbindung mit Medikamenten können zusätzliche Komplikationen entstehen», sagt die Therapeutin.
Abhängigkeit entwickelt sich oft schleichend
Im Alter sind viele Leute empfänglicher für Alkohol als früher. Einschneidende Erlebnisse wie Einsamkeit, Langeweile, Depressionen und Krankheiten oder der Verlust von geliebten Menschen machen sie verletzlicher. Dieser Zustand kann zu einem erhöhten Alkoholkonsum führen. Eine Abhängigkeit entwickelt sich schleichend. Petra Bald: «Dann dient der Alkohol dazu, um lockerer zu werden, unangenehme Gefühle, schwere Gedanken oder Ängste abzuschwächen.»
Die Krux: Der vermeintliche Helfer aus der Flasche verstärkt die Probleme. «Unbewusst entstehen automatisierte Muster», erklärt die Expertin. Häufig bleibt der problematische Konsum unentdeckt. Bei Herrn und Frau Köpfli habe die soziale Kontrolle wunderbar funktioniert. Wichtig sei es, problematischen Alkoholkonsum zu erkennen und dann Hilfe zu suchen.
Alkoholkonsum: So vermeiden Sie ein Gesundheitsrisiko
- Männer: Trinken Sie an einem Tag nicht mehr als 2 Gläser Wein oder 2 Stangen Bier.
- Frauen: Trinken Sie an einem Tag nicht mehr als 1 Glas Wein oder 1 Stange Bier.
- Legen Sie pro Woche mehrere trinkfreie Tage ein.
- Generell gilt: Wer pro Woche nicht mehr als 1 bis 2 Gläser Wein oder 1 bis 2 Stangen Bier trinkt, hat nichts zu befürchten. Ab 5 Gläsern Wein oder 6 Stangen Bier pro Woche ist das Krebsrisiko bereits leicht erhöht.
- Setzen Sie Alkohol nicht ein, um Stress oder Depressionen zu bewältigen.
- Trinken Sie keinen Alkohol im Strassenverkehr, beim Sport oder wenn Sie allein sind.
- Falls Sie Medikamente nehmen: Informieren Sie sich bei Ihrem Arzt über mögliche Wechselwirkungen.
Beratung und Infos: Suchtfachstelle Zürich, Tel. 043 444 77 00 (Montag bis Freitag, 8 bis 18 Uhr) oder E-Mail an info@suchtfachstelle.ch. Internet: Alterundsucht.ch
Strassenumfrage: Wie oft trinken Sie Alkohol?
Eva Zbinden, 67, Zürich
«Seit der Pensionierung geniessen mein Mann und ich etwas mehr Alkohol als vorher. Man trifft sich zum Essen und vermehrt zu Apéros mit Freunden. Wir haben Zeit und geniessen diese in vollen Zügen.»
Jeannette Pretelli, 75, Windisch AG
«Mein Mann und ich trinken gelegentlich ein bis zwei Gläser Wein, vor allem in Gesellschaft. Das hat sich im Pensionsalter nicht verändert.»
Iris Gauckler, 85, Zürich
«Zurzeit trinke ich keinen Alkohol, weil ich Medikamente nehmen muss, die sich nicht damit vertragen. Ansonsten trinke ich zum Essen gern ab und zu ein halbes Glas Rotwein.»