Patrick Stöckli (Name geändert) wurde im Alter von vier Jahren an der Vorhaut operiert. Der Grund: «Mein Glied war oft entzündet», erzählt der 46-Jährige. Die Operation hat er als «traumatisches Erlebnis» in Erinnerung. Mehrere Pfleger hielten ihn auf dem Spitalbett fest, weil er sich gegen das Betäuben mit Lachgas wehrte. Nach der Operation verschwanden die Beschwerden nur vorübergehend. Mit 20 Jahren liess Stöckli die Vorhaut wegschneiden, weil er an Ausschlägen litt.
Operation verursacht Komplikationen
Schweizer Spitäler führen die Operation rund 6000 Mal pro Jahr durch, etwa die Hälfte davon bei Minderjährigen. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik. Doch die Beschneidung von Buben ist umstritten. Marc Sidler, Präsident des Verbands Kinderärzte Schweiz, sagt: «Aus medizinischer Sicht ist die Operation vor der Pubertät nur selten nötig.» Eine enge Vorhaut in der Kindheit ohne Beschwerden sei kein zwingender Grund. Auch der europäische Berufsverband der Kinderärzte hält fest, die Beschneidung habe «keinen überzeugenden gesundheitlichen Nutzen».
US-amerikanische Kinderärzte hatten den Eingriff zwar empfohlen: Er schütze vor Harnweg- und HIV-Infektionen sowie Peniskrebs. 38 europäische Kinderärzte widersprachen aber dieser Darstellung: In der Fachzeitschrift «Pediatrics» schrieben sie, HIV-Infektionen seien in den USA häufiger als in Europa, obwohl dort mehr Buben beschnitten sind. Peniskrebs komme in Europa genauso selten vor wie in den USA. Die Operation verursache oft Komplikationen wie Nachblutungen oder Infektionen. Im schlimmsten Fall könne sie tödliche Folgen haben.
Die Kinderärztin Manuela Hany aus Winterthur ZH sagt: Eine verengte Vorhaut mache die Operation nicht notwendig, sofern das Kind nicht unter Beschwerden leide. «Meist kann man abwarten, bis der Bub in die Pubertät kommt. Dann weitet sich die Vorhaut oft auf natürliche Weise.» Nur selten ist eine Operation aus medizinischen Gründen nötig, etwa wegen Hautentzündungen oder Schmerzen.
Beschnittene haben oft Orgasmusprobleme
Ein weiterer Nachteil der Beschneidung: Sie kann das Sexualleben beeinträchtigen. Die europäischen Kinderärzte schrieben, die Vorhaut enthalte viele empfindliche Nerven, die wichtig seien für das sexuelle Erleben. Eine Studie im Fachblatt «British Journal of Urology» mit rund 1300 Männern bestätigt: Beschnittene Männer haben weniger angenehme Gefühle beim Sexualverkehr, und es ist für sie schwieriger, zum Orgasmus zu kommen. Sie spüren beim Sex Schmerzen.
Der Eingriff an der Vorhaut ist nicht nur in der Medizin umstritten: Auch die Beschneidung aus religiösen Gründen, wie sie Juden und Muslime praktizieren, sorgt für Diskussionen. Im Juni untersagte das Zürcher Obergericht einer Mutter, ihren zehnjährigen Sohn aus religiösen Gründen beschneiden zu lassen. Die Richter kamen zum Schluss, man könne dem Bub den Eingriff nicht zumuten, weil er an einer psychischen Störung leide. Er hat panische Angst vor Ärzten.
Für den Verein Pro Kinderrechte Schweiz stellt die Beschneidung eine «schwere Körperverletzung» dar. Auch religiöse Gründe könnten sie nicht rechtfertigen. Das schreibt Christoph Geissbühler, Geschäftsführer des Vereins. Ähnlich argumentiert die St. Galler Juristin Beatrice Giger. Die Beschneidung ohne medizinische Gründe liege nicht im Kindeswohl. Sie sei eine «Verstümmelung».
Die Kinderärztin Manuela Hany empfiehlt: «Eltern sollten den Wunsch des Kindes respektieren.» Sie rät, den Eingriff erst dann durchzuführen, wenn der Bub alt genug ist, um selbst zu entscheiden, ob er damit einverstanden ist. Das sei etwa ab dem Alter von elf Jahren möglich.
Phimose: Das sollten Sie wissen
Eine verengte Vorhaut (Phimose) ist meist harmlos, man muss sie nicht behandeln.
Auch wenn die Phimose nicht von selbst verschwindet, ist nicht unbedingt eine Operation nötig. Oft helfen Salben mit Kortison oder Östrogen.
Wenn das nichts nützt, sollte man die Phimose so operieren lassen, dass die Vorhaut erhalten bleibt.
Nur in ganz seltenen Fällen ist die vollständige Beschneidung nötig, beispielsweise bei wiederkehrenden Entzündungen.
Aufruf: Haben Sie Erfahrungen mit der Beschneidung?
Schreiben Sie uns: Redaktion Gesundheitstipp, «Beschneidung», Postfach 277, 8024 Zürich, redaktion@gesundheitstipp.ch
Literaturtipp
In der Broschüre mit dem Titel «Oh Mann, oh Mann : (» finden Eltern Infos zur Behandlung von Vorhautproblemen. Gratis-Download unter
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