Bei hohem Cholesterin verschrieben Ärzte bisher fast immer ein Medikament wie Zocor oder Sortis. Beide gehören zur Gruppe der Statine. Die Therapie kostet mit einem günstigen Generikum rund 500 Franken pro Jahr.
Seit einigen Jahren sind zwei neue Mittel auf dem Markt: Repatha und Praluent. Es sind gentechnisch hergestellte Medikamente – monoklonale Antikörper. Das sind Eiweisse, die man spritzen muss. Sie sollen ins Abwehrsystem des Körpers eingreifen oder Botenstoffe blockieren. Praluent kostet pro Jahr rund 5400 Franken, Repatha sogar über 8000 Franken – mehr als zehn Mal so viel wie die bewährten Statine (siehe Tabelle im PDF).
Ob sie Patienten besser vor Herzinfarkten schützen, ist unklar. Trotzdem verschreiben Ärzte sie immer öfter. Das zeigt der neuste «Arzneimittelreport» der Krankenkasse Helsana: 2016 führten die beiden Mittel in der Schweiz zu Kosten von 2 Millionen Franken – 2019 waren es bereits über 17 Millionen.
Repatha und Praluent sind keine Einzelfälle. In den letzten Jahren kamen über 50 dieser teuren Antikörper-Medikamente auf den Markt. Sie führen zu enorm hohen Kosten für das Gesundheitssystem. Das zeigt die Rangliste der teuersten Medikamente in der Schweiz: Auf den Plätzen 3 und 4 stehen die Antikörper-Mittel Humira und Remicade. Man setzt sie bei Rheuma, Darmentzündungen und Schuppenflechte ein. 2019 kosteten sie total 240 Millionen Franken – mehr als alle Schmerzmittel zusammen.
In 6 Jahren verdoppelten sich die Kosten
Die Kosten für Antikörper-Medikamente steigen jährlich. Laut Mario Morger vom Krankenversichererverband Curafutura verdoppelten sie sich in 6 Jahren (siehe Grafik). Die Mittel machen bereits einen Fünftel der Medikamentenkosten aus. Das hat Folgen für die Prämienzahler: Steigen die Kosten, werden die Prämien teurer. Laut Patrick Walter, Gesundheitsökonom beim Krankenkassenverband Santésuisse, entsprechen Kosten von 340 Millionen Franken zurzeit rund einem Prozent der Prämie. Für Walter ist klar: «Antikörper-Medikamente sind ein Kostentreiber.» Denn Ärzte verschreiben sie bei immer mehr Krankheiten.
Setzte man sie anfangs vor allem bei Krebs ein, kommen sie heute auch bei Leiden zum Einsatz, die nicht lebensbedrohlich sind – Migräne etwa oder Rheuma und Schuppenflechte. Das kostet pro Jahr bis zu 25000 Franken. Für die Pharmaindustrie eine Goldgrube: Die Zahl der Kunden wächst, und die Patienten bekommen die Präparate oft jahrelang verabreicht.
Trotzdem sinken die Preise kaum. Die Pharmafirmen schieben die Verantwortung auf das Bundesamt für Gesundheit. Es stützt sich bei der Preisgestaltung auf die Kosten in neun europäischen Ländern. Das Problem: Diese orientieren sich oft an den USA, wo Pharmafirmen die Preise diktieren. Zwar überprüft das Bundesamt für Gesundheit die Preise alle drei Jahre. Doch für Mario Morger von Curafutura ist das zu wenig: «So dämpft man die Kosten kaum.» Die Preise müssten konsequenter überprüft werden.
Auch der deutsche Gesundheitswissenschafter Jörg Schaaber von der Buko-Pharma-Kampagne kritisiert die Preise von Antikörper-Mitteln. Weder die meist geringen Vorteile noch die Forschungs- und Herstellungskosten würden diese rechtfertigen. Die Produktion von Antikörper-Medikamenten ist zwar aufwendiger als jene chemischer Mittel. Trotzdem ist die Produktion lukrativ: Als die Schweizer Firma Lonza ins Geschäft einstieg, bejubelten Finanzanalysten «überdurchschnittliche Margen». Jörg Schaaber sagt: «Die Preise sind so hoch, weil der Markt sie hergibt.»
Pikant: Zu etlichen Antikörper-Medikamenten gibt es günstigere Alternativen – eine Art von Generika. Doch Ärzte verschreiben sie gemäss «Helsana Arzneimittelreport» kaum. Im Fall von Remicade kamen die günstigeren Mittel gerade mal in 22 von 100 Fällen zum Einsatz, bei Humira sogar nur in knapp einem von 100 Fällen. Der Grund: Ärzte verdienen weniger daran.
Für Jörg Schaaber ist klar: «Die Kosten dieser neuen Medikamente werden immer mehr Gesundheitssysteme an ihre Grenzen bringen.» Schon heute könnten sich ärmere Staaten in Europa das nicht mehr leisten. Die Folge: Statt die Preise zu senken, bringen Pharmafirmen die Medikamente dort gar nicht auf den Markt. Der Basler Arzt Urspeter Masche sagt: «Wir sind den Pharmafirmen ausgeliefert.» Diese hätten bei der Festlegung der Preise zu viel Gewicht. Und die Politik zeige wenig Interesse, etwas zu ändern.
Die Hersteller schreiben, dass Antikörper-Medikamente deutliche Vorteile hätten, wenn andere Therapien versagen oder Patienten diese nicht vertragen. Die Arzneimittelbehörde Swissmedic habe den Nutzen und die Sicherheit der Medikamente bestätigt. Und: Das Bundesamt für Gesundheit prüfe regelmässig, ob die Medikamente wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich seien. Sanofi schreibt, dass Praluent die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle senke. Laut Mepha habe Ajovy bei Migräne auch den Vorteil, dass man es nicht täglich nehmen müsse. Die Hersteller der Asthmamittel Nucala und Fasenra schreiben, dass Patienten damit weniger Kortisontabletten benötigen.
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