Vor acht Jahren liess sich Maria Frech aus Appenzell AI an der Schulter operieren. Vor dem Eingriff massen die Ärzte den Blutzucker. Der Test zeigte einen leicht erhöhten Wert an. Ein Arzt teilte der 70-Jährigen mit, sie leide unter Prädiabetes – einer Vorstufe von Diabetes.
Der Begriff stammt aus den USA. Schweizer Ärzte haben ihn in den letzten Jahren übernommen. Sie bezeichnen damit einen leicht erhöhten Langzeit-Blutzuckerwert zwischen 5,7 und 6,4 Prozent. Das ist der sogenannte HbA1c-Wert. Höhere Werte gelten bereits als Diabetes.
Maria Frech erschrak, als sie den Bescheid erhielt: «Meine Mutter hatte wegen Diabetes ein Bein verloren, darum war ich sehr alarmiert.» Nach der Operation nahm sie auf Anraten der Ärzte das Diabetesmedikament Glycophage ein.
Umstrittene Diagnose treibt Kosten hoch
Doch Prädiabetes ist unter Experten umstritten. So kritisiert etwa der Hausarzt Günther Egidi aus Bremen (D), die Diagnose sei nicht zuverlässig: «Ich verwende sie nicht.» Damit würden die Ärzte immer mehr Gesunde für krank und behandlungsbedürftig erklären, sagt der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin.
Wie viele Leute in der Schweiz die Diagnose Prädiabetes erhalten, ist nicht bekannt. Die US-Gesundheitsbehörde CDC schätzt, dass rund ein Drittel aller Erwachsenen in den USA davon betroffen ist. Das kurbelt nicht nur den Umsatz von Diabetesmedikamenten an, sondern erhöht auch die Verkäufe von Blutzuckermessgeräten und die Anzahl der Arztbesuche.
Diagnose schadet mehr, als sie nützt
Eine internationale Expertengruppe kritisierte schon vor über zehn Jahren, der Begriff Prädiabetes erwecke den Eindruck, dass Prädiabetespatienten später Diabetes bekommen würden und alle anderen nicht. Beides sei falsch.
Eine grosse Übersichtsstudie der Cochrane-Forschergruppe mit über 250 000 Teilnehmern stützt die Kritik. Die Studie belegt, dass die meisten Leute, welche die Diagnose Prädiabetes erhalten, mit der Zeit wieder normale Blutzuckerwerte haben und nicht an Diabetes erkranken.
Prädiabetes geht auch nicht mit einem erhöhten Risiko für Herzkrankheiten oder Augen-, Leber- und Nervenschäden einher. Das stellte die Fachzeitschrift «Nature» klar.
Der englische Diabetesforscher John S. Yudkin schrieb in der Zeitschrift «Diabetes Care», die Prädiabetesdiagnose richte mehr Schaden an, als dass sie nütze. Betroffene müssten jahrelang Medikamente schlucken, manche sogar lebenslang. Das steigere die Gesundheitskosten. Und die Pillen würden gefährliche Nebenwirkungen wie Knochenbrüche, Schwindel und Magenprobleme verursachen. Es gebe aber keine Beweise dafür, dass Medikamente die Gesundheit der mit Prädiabetes diagnostizierten Personen verbessern würden.
Der Basler Hausarzt Urspeter Masche sagt: «Bei leicht erhöhten Blutzuckerwerten sollten Patienten zuerst den Lebensstil ändern.» Dazu zählt Masche gesundes Essen, mehr Bewegung und die Reduktion des Körpergewichts.
Das probierte auch Maria Frech mit Erfolg aus. Nachdem sie sich von der Operation erholt hatte, informierte sie sich darüber, wie man Diabetes vermeiden kann. Sie stellte ihre Ernährung um und isst jetzt viel Salat, Gemüse, Früchte und Vollkornprodukte. «Pasta, Reis und Backwaren aus Weissmehl sind tabu», sagt sie. Und kalorienreiche Lebensmittel isst sie nur selten und in kleinen Portionen. Zudem ist sie sportlich unterwegs: Sie wandert, macht Walking, fährt Velo, tanzt und turnt gern.
Das zahlt sich aus: «Seither sind meine Blutwerte in Ordnung, und ich brauche kein Diabetesmedikament mehr.»
Tipps gegen Diabetes
- Verringern Sie Ihr Körpergewicht: Nehmen Sie weniger Kalorien zu sich, und bewegen Sie sich mehr.
- Essen Sie ausgewogen: Salat, Gemüse und Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse, wenig Kohlenhydrate und etwas Fleisch.
- Probieren Sie das Intervallfasten aus. Am einfachsten geht das, indem Sie das Frühstück weglassen.
- Kaffee, Grüntee, ein Ei pro Tag, Haferflocken und Zimt senken den Blutzucker.
- Bewegen Sie sich regelmässig an der frischen Luft.
- Schlafen Sie genügend.
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