Gegenüber dem Zürcher Hauptbahnhof hat die Firma Care ihr erstes Geschäft eröffnet: die «Arztpraxis der Zukunft», wie sie es auf ihrer Website bezeichnet. Mit den dort durchgeführten Bluttests könne man gesünder und länger leben. Immer mehr Firmen verkaufen solche Tests, darunter Rikai, Drop in lab, My Sport und verschiedene Apotheken.
Am umfangreichsten ist der Bluttest von Care: Er misst 46 Blutwerte. Dazu gehören der Blutfettwert, die Zahl der roten und weissen Blutkörperchen, Mineralstoffe und Vitamine, Hormone, Nieren-, Leber- und Schilddrüsenwerte. Care empfiehlt, die Blutwerte zwei- bis sechsmal pro Jahr zu überprüfen.
Fachleute warnen vor solchen Tests. Sie würden oft unnötig Alarm auslösen, sagt etwa Daniel Scheidegger, ehemaliger Präsident der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften: «Testet man so viele Blutwerte, sind auch bei gesunden Leuten oft fünf bis zehn Werte nicht im Normbereich.»
Für die Gesundheit seien solche Abweichungen unbedeutend, doch sie würden vielen Kunden Angst machen. Die Folge seien unnötige Arztbesuche und weitere Untersuchungen. «Das wird gewaltige Kosten erzeugen», kritisiert Scheidegger.
«Gesunde brauchen keine Bluttests»
Reto Auer, Hausarzt und Professor am Institut für Hausarztmedizin der Universität Bern, sagt: «Gesunde Menschen brauchen die meisten Bluttests nicht.» Es gebe keine Beweise, dass sie Krankheiten vermeiden oder das Leben verlängern. Die Leitlinien der Ärzteplattform Eviprev empfehlen nur das Messen der Cholesterin- und Blutfettwerte im Abstand von fünf Jahren. «Für alle anderen Bluttests ist der Nutzen nicht bewiesen», erklärt Reto Auer.
Ninia Melcher bestreitet Triathlon- und Ironman-Wettkämpfe. Die 35-Jährige liess vor einem Jahr einen Bluttest bei der Firma My Sport machen. «Mich interessierte vor allem mein Eisenwert», sagt sie. «Als Sportlerin ist es für mich schwierig, mit einem Eisenmangel zu trainieren. Ich möchte deshalb sicher sein, dass ich gesund bin.»
Der Bluttest zeigte einen zu tiefen Eisenwert. Ninia Melcher stellte daraufhin ihre Ernährung um und kaufte Eisentabletten. Doch das nützt nichts. Arzt Reto Auer sagt: «Es gibt gute Daten, die beweisen, dass Vitaminpräparate und Eiseninfusionen die Gesundheit von Personen ohne Beschwerden nicht verbessern.»
Eine Studie von Schweizer Forschern in der Fachzeitschrift «Scientific Reports» zeigte vor drei Jahren: Eiseninfusionen helfen Gesunden nicht. Die Studienteilnehmerinnen, die Eisen erhielten, fühlten sich nicht besser als andere, die Kochsalzlösung bekamen. Eine Übersichtsstudie des Universitätsspitals Zürich zeigte ebenfalls keinen Nutzen von Tabletten und Spritzen mit Vitamin B12.
Auch Ärzte testen Blut – aber ganz gezielt
Zwar machen auch Ärzte solche Bluttests – aber nicht bei Gesunden. Daniel Scheidegger erklärt: «Wenn ein Patient gewisse Beschwerden hat, überlegt sich der Arzt mögliche Diagnosen. Dann macht er einen Bluttest, um die Diagnose zu bestätigen.» Allerdings messe er nicht Dutzende Blutwerte, sondern nur diejenigen, die für die Beschwerden der Patienten wichtig sind. Deshalb empfiehlt Scheidegger: «Statt sein Geld für Bluttests zu verpulvern, sollte man sich lieber mehr bewegen, gesund essen und den Blutdruck messen.»
Die Firma Care sagt zur Kritik, Ärzte würden die Testresultate mit den Kunden eingehend besprechen. Damit könne die Firma verunsicherte Kunden und unnötige Folgeuntersuchungen vermeiden. Care verabreiche Eiseninfusionen nur Kunden, wenn dies aufgrund der Vorgeschichte und der Werte nötig sei.
Die Firma IABC sagt, viele würden sich nicht ausgewogen ernähren. Ihnen könnten Präparate helfen. Die Laborwerte würden die Kunden nicht verunsichern, sondern helfen, Lösungen zu entwickeln.
Die Toppharm- und Medbase-Apotheken sagen, sie würden nur einzelne Blutwerte wie den Blutzucker messen. Zur Analyse gehöre ein ausführliches Beratungsgespräch. Auch Cerascreen sagt, sie verkaufe nur gezielte Tests auf einzelne Nährstoffe oder Vitamine. Health Yourself sagt, ein Arzt schreibe einen Bericht, damit die Resultate die Kunden nicht verunsichern.
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