Eva-Maria Gassmann hatte schon als Kind häufig Bauchweh und Kopfschmerzen. Ihre Nase war ständig verstopft. Mit den Jahren wurde es immer schlimmer. «Ich war die ganze Zeit unglaublich müde», sagt die 50-Jährige aus Thun BE. Den entscheidenden Tipp gab eine Kollegin: Es könnte sein, dass sie kein Histamin vertrage.
Histamin ist ein Stoff, den der Körper selber produziert. Er ist unter anderem für die heftigen Reaktionen bei Allergien verantwortlich und spielt bei Entzündungen eine Rolle. Histamin kommt aber auch in Lebensmitteln vor. Dazu gehören Würste, Käse, Tomaten und Rotwein. Zudem fördern zum Beispiel Schokolade und Zitrusfrüchte das Ausschütten des körpereigenen Histamins.
Eva-Maria Gassmann ass eine Woche lang nur Haferflocken, die garantiert kein Histamin enthalten. Der Erfolg überraschte sie: «Ich hatte plötzlich wieder Energie und fühlte mich richtig gesund.» Seither meidet sie Lebensmittel mit viel Histamin. «Am schwersten fällt mir das bei Käse.»
Fachleute gehen davon aus, dass eine von hundert Personen Probleme mit Histamin hat. Betroffen sind vor allem Frauen. Ein Grund dafür sei die Menstruation, sagt Ärztin Verena Meier aus Sissach BL. Denn: «Einige Tage vor und während der Periode entsteht in der Schleimhaut der Gebärmutter viel Histamin.»
Schmerzmittel fördern Ausschütten des Stoffs
Für den Abbau des Stoffs ist das Enzym Diaminoxidase zuständig. Bei Betroffenen besteht ein Missverhältnis zwischen der Menge des Histamins und des Enzyms. Das kann passieren, weil der Körper zu wenig Enzym bildet. Oder das Zuviel an Histamin entsteht durch eine andere Unverträglichkeit oder Allergie. Verena Meier hat die Erfahrung gemacht, dass viele Patientinnen allergisch auf Hausstaubmilben reagieren oder Fruchtzucker nicht vertragen. «Behandelt man dies, vertragen sie auch wieder mehr Lebensmittel mit Histamin.»
Allerdings dauert es oft Jahre, bis Betroffene die klare Diagnose haben. Denn die Krankheit äussert sich auf unterschiedliche Weise. Bei Barbara Glarner aus Schaffhausen löst Histamin heftige Attacken aus, ähnlich wie bei einer Migräne. Sie muss während Stunden immer wieder erbrechen und schliesslich sackt der Blutdruck ab. «Ich wurde dabei auch schon ohnmächtig», sagt die 50-Jährige. Während Jahren bekam sie Tabletten gegen Migräne – doch sie machten alles noch schlimmer. Kein Wunder: Auch Schmerzmittel fördern das Ausschütten von Histamin. Barbara Glarner: «Schon ein Schluck Rotwein genügt für eine Attacke.»
Tests liefern keine klaren Resultate
Laut Allergieexperte Brunello Wüthrich aus Zollikerberg ZH liefern Tests keine zuverlässigen Ergebnisse – weder Blut- noch ein Provokationstest, bei dem man dem Patienten eine hohe Dosis Histamin verabreicht. «Wenn man andere Ursachen ausgeschlossen hat und die Beschwerden nach dem Genuss bestimmter Nahrungsmittel auftreten, ist eine Histamin-Unverträglichkeit wahrscheinlich», so Wüthrich. Ein Diät-Versuch kann den Verdacht bestätigen.
Neben einer angepassten Ernährung empfiehlt Verena Meier Nährstoffe wie Vitamin C und aktivierte B-Vitamine. Auch Zink, Selen und Kupfer können nötig sein. Es gibt zudem Kapseln mit dem Diaminoxidase-Enzym. Sie vermindern die Histaminmenge im Nahrungsbrei. Allerdings ist eine solche Behandlung teuer und die Grundversicherung zahlt nicht.
Glarner weiss unterdessen, was ihr guttut: «Ich koche meist selber und mit frischen Zutaten.» Auf den Tisch kommen Kartoffeln, Reis und Pasta, Salat, Gemüse sowie Produkte aus frischer Milch. Auch tiefgekühlten Fisch, den sie im Steamer zubereitet, verträgt Barbara Glarner. An der Wärme vermehrt sich das Histamin in Lebensmitteln. Deshalb transportiert sie Frischwaren nach dem Einkauf möglichst schnell nach Hause. «Im Restaurant esse ich mittlerweile nur noch, wenn ich muss.» Es sei mühsam, immer nachzufragen. «Die Leute behandeln mich dann wie eine überspannte Hysterikerin.»
Tipps
- Histamin: Darauf sollten Betroffene beim Essen achten
- Lagern Sie Nahrungsmittel nicht zu lange.
- Tiefgekühlte Fische und Fleisch vertragen Betroffene meist besser.
- Stellen Sie Reste von frisch gekochten Mahlzeiten sofort in den Kühlschrank.
- Essen Sie Frischkäse statt lange gereifte Käsesorten.
- Weisswein enthält weniger Histamin als Rotwein.
Weitere Informationen finden Sie im Internet unter Histaminintoleranz.ch