Vor vier Jahren kam Christoph Tobler in sein Haus in Huttwil BE zurück. Hinter ihm lag ein schwerer Eingriff: eine Herztransplantation. Toblers Herz war wegen eines Gendefekts geschwächt. Chirurgen ersetzten es durch das gesunde Herz eines Verstorbenen. Nach drei Wochen Spital und drei Wochen Reha habe er viel Dankbarkeit und Euphorie gespürt, erzählt Christoph Tobler. «Ich dachte: Nun habe ich ein neues Herz – jetzt muss ich etwas daraus machen, etwas Sinnvolles tun.»
Auch die Stiftung Swisstransplant schreibt von neuer Lebensqualität nach einer Transplantation. Im jüngsten Jahresbericht wirbt die Organisation mit Erfolgsbeispielen. Ein herztransplantierter Patient wird mit den Worten zitiert: «Dank der Transplantation konnte ich eine Familie mit drei Kindern gründen, arbeiten und Leichtathletik treiben.» Auf mögliche Risiken geht Swisstransplant nicht ein, weder in ihrer Broschüre «Organspende rettet Leben» noch in den «Fragen und Antworten zur Transplantation» im Internet.
Medikamente nach dem Eingriff machen Patienten Probleme
Doch für viele Betroffene ist nach der Transplantation nicht alles bestens. Sie müssen jeden Tag Medikamente einnehmen, die das Abstossen des neuen Organs verhindern sollen. Manche Patienten kämpfen mit den Nebenwirkungen. Das erlebte auch Christoph Tobler: Er erbrach jeden Tag, hatte Schmerzen in Bauch und Beinen, war ständig müde. Früher hatte er als Polier auf Baustellen gearbeitet und in der Freizeit sein Haus eigenhändig umgebaut. Doch jetzt war daran nicht zu denken.
Nach der Operation eine schwere Depression erlitten
Hinzu kamen psychische Probleme: Christoph Tobler legte sich immer häufiger ins Bett, fühlte sich antriebslos und leer. «Ich stürzte in ein Loch», sagt er. Eine tiefe Verzweifung ergriff ihn. Im Frühling war es so schlimm, dass er notfallmässig in die Psychiatrische Klinik Langenthal BE kam. Er hatte eine schwere Depression. Sven Schmutz, Leiter der Kardiopsychologie am Inselspital Bern, erstaunt das nicht. «Depressive Störungen kommen nach Herztransplantationen oft vor.»
In den ersten drei Jahren nach dem Eingriff treffe es jede fünfte Person mit einem neuen Herz. Im Vergleich zu Leuten ohne Spenderherz ist das Risiko für eine Depression mehr als doppelt so hoch. In einer italienischen Studie berichteten Betroffene ebenfalls von Ängsten und Depressionen. Vor allem im ersten Jahr haben sie Angst, dass ihr Körper das Organ abstösst. Hinzu kommt, dass sich Patienten isoliert fühlen: Da sie anfällig sind auf Infekte, müssen sie bei sozialen Kontakten aufpassen.
Andere Studien zeigten zudem, dass sich mit einem neuen Organ die Persönlichkeit verändern kann. In einer aktuellen Studie schreiben US-Forscher der Colorado School of Medicine, dass neun von zehn Patienten nach dem Eingriff von neuen Charaktereigenschaften und Gewohnheiten berichteten. So zeigten sie zum Beispiel beim Essen oder beim Sex andere Vorlieben als zuvor. Eine weitere Beobachtung: Einige Patienten mit neuem Herz konnten ihren Spender beschreiben, obwohl man ihnen dazu keine Informationen geliefert hatte.
Beispiel: Ein fünfjähriger Bub bekam das Herz eines Dreijährigen. Der Bub sagte danach, sein Spender sei kleiner als er selbst und sei abgestürzt. Eine wissenschaftliche Erklärung gibt es für dieses Phänomen allerdings nicht.
«Ich bin dünnhäutiger geworden»
Bei Christoph Tobler dauerte es Monate, bis es ihm besser ging. In der Klinik Hasliberg BE wurde er mit Aquafit, Spaziergängen und Tischtennis körperlich wieder fit. Auch Gespräche mit Psychologen und anderen Patienten halfen ihm: Er habe gelernt, die eigenen Ansprüche herunterzuschrauben, sagt Tobler. Allerdings sei er heute dünnhäutiger. «Verfolge ich Nachrichten am Radio oder am Fernsehen, muss ich manchmal weinen.» Swisstransplant schreibt dem Gesundheitstipp, man sei nicht zuständig für die medizinische Nachsorge und spezifische Auswirkungen von Transplantationen.
So erlebten Patienten die Transplantation
K.M. aus B., 68
«Ich bekam vor zehn Jahren eine neue Leber. Körperlich war die Transplantation ein Erfolg. Seelisch ging es mir jedoch nicht gut. Als ich aus der Narkose erwachte, war ich von einem Gefühl des Schreckens erfüllt. Eine tiefe Verzweiflung ergriff mich und begleitete mich weit über die Rehabilitation hinaus. Nie zuvor hatte ich solche Ängste gehabt. Ich dachte an Suizid. Heute geht es mir besser. Ich wüsste aber gern mehr über den Spender, insbesondere über die Ursache seines Todes. Ich frage mich, ob er Suizid beging und ich seine Ängste und Selbstmordgedanken nacherlebt habe.»
Johanna Gerber, 62, Fricktal AG
«Eine nahe Verwandte spendete mir eine gesunde Niere. Seither telefonieren wir jede Woche. Kurz nach dem Eingriff erkrankte die Spenderin schwer. Ich machte mir grosse Sorgen, dass die Entnahme der Niere eine Ursache dafür gewesen sein könnte, weil der Eingriff den Körper meiner Verwandten schwächte. Der Arzt verneinte das aber klar. Trotzdem dauerte es länger, bis ich damit fertigwurde. Zum Glück geht es meiner Spenderin heute wieder gut.
Mir persönlich half der Kontakt zu anderen Nierenpatienten und zu anderen Leuten, die eine Transplantation erlebt hatten, zum Beispiel über den Verein Nierenpatienten Aargau.»
Marc Stucki, 61, Muri BE
«Im Mai 2024 setzten mir Chirurgen eine neue Lunge ein. Die Operation verlief sehr gut, aber es gab ein Problem: Wohin mit meiner Dankbarkeit?, fragte ich mich. Der Spender war bereits gestorben, und seine Angehörigen sollte man erst nach ein paar Monaten via Swisstransplant schriftlich kontaktieren. Ich bin mir aber gewohnt, stets Danke zu sagen – das ging jetzt nicht. Als Erstes bestellte ich zwei Packungen Mandelbären für das Personal im Spital. Danach spendete ich einen Geldbetrag an die Stiftung des Spitals Lausanne. Das hat mir geholfen. Trotzdem empfinde ich mein Glück manchmal immer noch als unverdient.»