Ein Allergiker reizt die Industrie
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Gesundheitstipp 9/2002
01.09.2002
Er hat drei Klagen der Mineralfaserindustrie am Hals. Doch Verleger Urs Beeler kämpft weiterhin für ein Verbot von Glas- und Steinwolle. Es gibt sie in fast jedem Haus. Die Mineralfasern können Haut, Augen und Nase reizen.
Thomas Grether thgrether@pulstipp.ch
Urs Beeler ist nicht einer, der lange um den heissen Brei herumredet. Der Verleger der Schwyzer Gewerbe-Zeitschrift «Mythen-Post» nennt die Dinge beim Namen: «Glas- und Steinwolle gefährden die Gesundhei...
Er hat drei Klagen der Mineralfaserindustrie am Hals. Doch Verleger Urs Beeler kämpft weiterhin für ein Verbot von Glas- und Steinwolle. Es gibt sie in fast jedem Haus. Die Mineralfasern können Haut, Augen und Nase reizen.
Thomas Grether thgrether@pulstipp.ch
Urs Beeler ist nicht einer, der lange um den heissen Brei herumredet. Der Verleger der Schwyzer Gewerbe-Zeitschrift «Mythen-Post» nennt die Dinge beim Namen: «Glas- und Steinwolle gefährden die Gesundheit. Sie sind vom Material her eine Katastrophe und nichts anderes als unnötiger Sondermüll», sagt er. Handwerker verwenden das Material zur Isolation von Wänden und Fussböden. Beeler ruft in der «Mythen-Post» und im Internet dazu auf, Glas- und Steinwolle sofort zu verbieten. Die Mineralfasern würden bei ihm, aber auch bei anderen Menschen allergische Reaktionen auslösen, sagt Beeler. Doch diese Probleme würden von den Herstellern «grösstenteils totgeschwiegen».
Glas- und Steinwolle hätten möglicherweise «krebsförderndes Potenzial», schrieb er im Internet. Doch dies kümmere die Hersteller nicht. «Die Glas- und Steinwolleindustrie hat ihr Millionengeschäft fest im Griff.»
Dies liessen sich die Mineralwollehersteller Saint-Gobain Isover und Flumroc nicht gefallen. Vor drei Jahren klagten sie Beeler wegen unlauteren Wettbewerbs ein - und bekamen vor Gericht Recht. Beeler musste 3000 Franken Busse bezahlen. Doch der Verleger blieb bei seiner Meinung. Jetzt haben ihn gleich drei Mineralfasergiganten eingeklagt, weil Beeler ihre Produkte verunglimpfe. Saint-Gobain Isover, Flumroc und Sager wollen ihm vor dem Schwyzer Bezirksgericht den Prozess machen. «Sie wollen mich mundtot machen», so Beeler. Das Urteil steht noch aus.
Fest steht: Über die Atmung können manche der hauchdünnen Mineralfasern bis in die Lunge vordringen. Lange galten sie, ähnlich wie Asbest, als möglicherweise krebserzeugend. Die internationale Behörde für Krebsforschung (IARC) hat sie Ende 2001von diesem Verdacht freigesprochen. «Es konnte keine erhöhte Krebsgefahr nachgewiesen werden», sagt Raumluftspezialist Roger Waeber vom Bundesamt für Gesundheit. «Der Körper baut Asbestfasern praktisch nicht ab. Mineralfasern dagegen lösen sich relativ rasch auf oder werden vom Immunsystem aus der Lunge befördert.»
Bis zu 270 000 Fasern sind beim Einbauen in der Luft
«Seit jeher stehen bei Saint-Gobain Isover (...) der Mensch und die Natur im Mittelpunkt.» So liest man auf der Internet-Homepage von Saint-Gobain Isover, und drei Küken tummeln sich auf einer Isolationsmatte. Doch Glas- und Steinwolle sind längst nicht so harmlos, wie sie die Hersteller gerne darstellen. Messungen der Suva haben ergeben: Pro Kubikmeter Luft in Innenräumen können bis zu 270 000 Fasern herumschwirren, während man die Dämmstoffmatten einsetzt.
Wer mit diesem Material arbeitet, sollte deshalb geschlossene Kleidung, Staubmaske, Schutzbrille und Handschuhe tragen, empfiehlt die Suva. Räume sind gut zu durchlüften. «Scharfe, abgebrochene Fasern können sich in die Haut einspiessen und sie reizen», sagt Arbeitshygieniker Egon Hürlimann von der Suva. Auch die Schleimhäute der Nase sowie die Bindehaut der Augen können sich entzünden.
Das bekommen vor allem Handwerker zu spüren, die sich oft nicht genügend schützen. Auch Ernst Meier (Name geändert), Inhaber eines Bodenlegergeschäfts, sagt: «Nicht nur ich, alle meine Mitarbeiter reagieren auf diese Fasern allergisch.» Der Isolationsspezialist will anonym bleiben, weil er Ärger mit den Auftraggebern befürchtet. «Die Fasern dringen durch kleinste Ritzen bis auf die Haut. Eigentlich müsste man einen Astronautenanzug tragen, um sich wirksam zu schützen.»
Weiter berichtet Meier, dass die Haut jucke. «Kratzt man sich, schiebt man die Fasern nur tiefer hinein.» Geraten Fasern gar in den Hals, «beisst es fürchterlich». Nase und Augen laufen, als hätte man Heuschnupfen, so Meier. Abends dusche er immer, trotzdem jucke es ihn häufig noch drei Tage später.
Rolf-Erwin Ensmann, Geschäftsführer von Saint-Gobain Isover Schweiz, dagegen sagt, Messungen hätten ergeben, dass für die Arbeiter keine übermässige Staubbelastung entstehe. Jeglicher Staub müsse aber vermieden werden, «egal welcher Natur». Hinweise auf Verpackungen würden helfen, mit der Mineralwolle korrekt umzugehen.
Immer wieder zeigt sich jedoch, dass Hausbesitzer und Mieter auch innerhalb ihrer Wohnung Fasern ausgesetzt sind. Handwerker dichten die Mineralfasermatten nicht immer perfekt ab. Folge: Bei Durchzug oder Sturm geraten Fasern in Wohnräume. In Gängen und Kellern von Wohnblocks sind Mineralfasermatten manchmal sogar frei liegend eingebaut.
«Das sollte nicht vorkommen. Wer so baut, arbeitet nicht sauber», sagt dazu Egon Hürlimann von der Suva. Beschädigte Matten können Fasern in die Luft abgeben, die laut Hürlimann «zum Beispiel von spielenden Kindern aufgewirbelt werden».
Mit unliebsamen Folgen. Melanie Derungs (Name geändert) und ihrem Sohn tränten wegen der Fasern die Augen. Und es habe sie ständig in der Nase gejuckt. Marder hatten die Isolation büschelweise herausgerissen. «Der Staub, den ich in der Wohnung zusammenwischte, war voller gelber Fasern.»
Jetzt spitzt sich die Auseinandersetzung um die Isolierwolle zu. Urs Beeler, der vor Gericht antraben muss, hat seinerseits die Firma Saint-Gobain Isover beim Bezirksamt Schwyz angezeigt - wegen möglichen Betrugs und Irreführung. Denn gutgläubige Hausbesitzer würden über die Nachteile der Isolierwolle zu wenig aufgeklärt. Fortsetzung folgt.
So schützen Sie sich beim Arbeiten mit Isolationsmatten
Melden Sie frei liegende Isolationsmatten in der Wohnung dem Vermieter. Verlangen Sie, dass man die Schäden behebt - auch als Hausbesitzer. Und halten Sie sich bei der Arbeit mit Isolationsmatten an die Suva-Tipps:
- Alternativen zu Glas- und Steinwolle sind Isofloc (Cellulose), Polystyrol, Kork und Wolle.
- Transportieren Sie die Isolierwolle in Plastikfolie.
- Sorgen Sie für einen gut durchlüfteten Arbeitsraum.
- Tragen Sie Schutzanzug (Overall) und Atemschutzmaske mit Partikelfilter - mindestens Klasse P2.
- Tragen Sie eine geschlossene Schutzbrille und arbeiten Sie immer mit Handschuhen.
- Schneiden Sie Isolierwolle mit Werkzeugen zu, die keinen Staub verursachen: Messer oder Schere.
- Reinigen Sie den Arbeitsplatz vorsichtig: Wischen Sie nicht, verwenden Sie einen Staubsauger.
- Duschen Sie nach der Arbeit gründlich, cremen Sie die Haut danach ein.
Die Suva gibt eine Gratis-Broschüre zum Thema (Nr. 66080.D) heraus: Tel. 0848 830 830 oder www.suva.ch