Beim Zürichhorn, auf der Wiese vor dem Chinagarten, direkt am See: Von Weitem sieht es aus, als ob ein Zirkusartist an diesem sonnigen Nachmittag im April über ein Seil geht. Doch es ist Raulian Keller, Student aus Zürich, der vorsichtig einen Fuss vor den andern setzt. Die Arme hält er ausgestreckt, sein Oberkörper pendelt hin und her. Er steht auf einem elastischen Band, das zwischen zwei Bäume gespannt ist – eine sogenannte «Slackline». Darauf zu gehen, fördert die Reaktionsfähigkeit, die Koordination und das Gleichgewicht.
Dabei gilt: Je länger das Band, desto schwieriger wird es, sich möglichst lange darauf zu halten. Der 24-jährige Keller versucht sich an diesem Tag auf einem 40 Meter langen Band. Er schafft es nicht ganz. Kurz vor dem Ziel verliert er das Gleichgewicht. Mit einem «Ups» landet er im Gras.
Gut für koordinative Fähigkeiten
Vor allem junge Menschen haben den Spass auf der langen Leine entdeckt. Manche entwickeln sich zu wahren Akrobaten: Sie hüpfen darauf wie auf einem Trampolin, machen Saltos – und landen wieder mit den Füssen auf dem Band.
Das Bundesamt für Sport empfiehlt das Slackline-Training für den Schulsport. Der Grund: «Gegenüber früher haben sich die koordinativen Fähigkeiten der Schüler drastisch verschlechtert.» Die Leine sei ein gutes Trainingsgerät, um das zu verbessern. Zudem wirke es «erfrischend auf das Gehirn, wenn man zuvor konzentriert gearbeitet» habe.
So geht es auch Raulian Keller. Als Student sitzt er oft stundenlang hinter Büchern oder vor dem Bildschirm. Keller: «Balancieren auf der Leine hilft mir beim Abschalten.»
Samuel Volery und Tobias Rodenkirch, Studenten der Bewegungswissenschaften an der ETH Zürich, kommen in ihrer Masterarbeit zum Schluss: Balancieren auf der «Slackline» fördert die Konzentrationsfähigkeit. Rodenkirch sagt: «Wir haben sogar nachgewiesen, dass dieser Effekt ein Monat später noch vorhanden war, auch ohne das Training.» Grund: «Das Hirn machte einen Lernprozess durch.»
Auch für Ältere ein gutes Training
Vom Training profitieren aber auch ältere Menschen: In einer Studie liessen deutsche Wissenschafter der Uni Osnabrück Senioren im Alter von 60 bis 72 Jahren zweimal pro Woche während 20 Minuten auf dem Band üben.
Mit Erfolg: Schon nach drei Wochen Training stellten die Forscher eine «deutlich verbesserte Gleichgewichtsfähigkeit» fest. Ein gutes Gleichgewicht sei für Senioren zentral, um im Alter mobil und unabhängig zu bleiben, schreiben sie.
Tipps: Nie an Laternen festmachen
- Beginnen Sie mit einer Leine, die höchstens 7 Meter lang ist. Eine Breite von 3 bis 4 Zentimetern ist ideal.
- Wählen Sie einen Baum mit minimal 1,2 Meter Durchmesser
- Kaufen Sie die Ausrüstung mit Baumschutz.
- Befestigen Sie die «Slackline» niemals an Strassenlaternen. Sie halten dem Zug nicht stand.
- Mehr Infos unter www.mobilesport.ch, www.slacktivity.ch