Joseph Osterwalder (70) aus St. Gallen geht mit leicht angewinkelten Beinen in grossen, zügigen Schritten im Kreis. Die Arme kreisen in weichen Bewegungen. Osterwalder trainiert seit acht Jahren die chinesische Kampfkunst Bagua Zhang. Das Training schule sein Gleichgewicht und sei für ihn wie Meditation. Zudem ist es gut für die Muskulatur, wie Bagua-Zhang-Lehrer Fredy Buttauer aus Winterthur ZH sagt: «Das Gehen im Kreis trainiert die Beine und stärkt den unteren Rücken.»
Kampfkunstschulen in Zürich, Basel, Winterthur, Luzern und einigen weiteren Orten bieten Kurse in Bagua Zhang an. Es ist eine von acht Kampfkünsten, die ohne Körperkontakt auskommen (siehe Tabelle im PDF). Der Berner Kampfkunstexperte Erik Golowin hat die Disziplinen für den Gesundheitstipp beurteilt. Vor allem die meditativen Kampfkünste bringen Senioren Nutzen: Sie schulen das Gleichgewicht und erfordern keine körperlichen Höchstleistungen.
Für Senioren gut geeignet ist auch die weit verbreitete Kampfkunst Tai-Chi. Man bewegt sich dabei sehr langsam, zweitweise steht man nur auf einem Bein. Tai-Chi-Lehrer Simon Sembinelli aus Uster ZH erklärt: «Das langsame Ausführen fördert die Körperwahrnehmung und das Gleichgewicht und führt zu einer ausgeglichenen inneren Haltung.» Die Folge: Wer regelmässig Tai-Chi macht, stürzt weniger. Das zeigte eine Studie des Fachblatts «New England Journal of Medicine» mit fast 200 Parkinsonpatienten. Auch bei Kniearthrose und Gicht mildert Tai-Chi die Beschwerden: Es bewegt die Gelenke sanft. Dadurch bildet sich Gelenkschmiere, die den Knorpel nährt.
Besonders gut für Kraft und Fitness ist die wenig bekannte Kampfkunst Xing Yi Quan. Schulen in Luzern, Bern, Basel und Zürich bieten Kurse an. Die Schüler bewegen sich dabei zügig auf einer Linie vor- und rückwärts. Manchmal setzen sie Waffen wie Speer, Stock und Schwert ein. Die Philosophie dahinter: Der Schüler soll seinen imaginären Gegner frontal angreifen und über ihn hinweglaufen wie über ein Grasbüschel. Erik Golowin sagt: «Die Übungen stärken die Beweglichkeit der Wirbelsäule.»
In China wird Qigong bis ins hohe Alter praktiziert
Bei Qigong geht es nicht um Kampfbewegungen. Man versucht vielmehr, den Körper zu lockern und zu entspannen: Das soll die Lebensenergie, Qi, anregen und die Beweglichkeit fördern. Erik Golowin sagt: «Schüler sind schnell so weit, dass sie einfache Übungen alleine ausführen können.» In China machen die Menschen Qigong bis ins hohe Alter. Eine Studie von 2012 zeigte, dass Qigong bei chronischer Müdigkeit hilft. Nach vier Monaten regelmässigem Training fühlten sich die Teilnehmer viel weniger matt.
Eine sehr meditative Disziplin ist Yi Quan. Der Name bedeutet «Geist-Boxen», entsprechend finden die meisten Bewegungen nur im Kopf statt. Manchmal stehen die Schüler eine ganze Lektion nur da. Ein Lehrer leitet sie an, ihre Aufmerksamkeit auf den Körper zu lenken. Erik Golowin sagt: «Das lange Stehen kräftigt die Beinmuskeln.» Das Besondere an dieser Kampfkunst: Sie ist auch für Personen im Rollstuhl möglich. Statt im Stehen üben sie einfach im Sitzen.
Andere Kampfkünste sind körperbetonter und beinhalten Kampfelemente, die auch einen Partner mit einbeziehen. Dazu gehören Wushu, Taekwondo und Karate. Alle drei kann man ohne Kontakt trainieren. Dabei lernt man feste Choreografien. Das ist auch im Alter möglich, setzt aber ein gewisses Mass an körperlicher Fitness voraus.
Besonders auf Beweglichkeit ausgelegt ist Wushu, auch bekannt unter dem Namen Kung-Fu: Die Schüler lernen tänzerische bis akrobatische Einlagen, die einem echten Kampf nachempfunden sind. Speziell: Man kämpft zum Teil mit Waffen wie Schwertern oder Stöcken. Wushu-Trainer Sami Ben Mahmoud aus Baar ZG sagt: «Es geht darum, die Kampfbewegungen möglichst präzise auszuführen.» Das braucht Kraft und ein gutes Koordinationsvermögen. Erik Golowin sagt: «Man kann die Disziplin mit Kunstturnen vergleichen.» Für Senioren sind auch Übungen ohne Sprünge und Akrobatik möglich.
Hohe Kicks verursachen Schläge auf den Rücken
Der koreanische Kampfsport Taekwondo ist bekannt für seine hohen Beinkicks. Die Schüler schlagen mit den Füssen auf Schlagpolster oder in die Luft. Erik Golowin sagt: «Das trainiert die Muskeln von Beinen und Hüften.» Der Nachteil: Die hohen Kicks geben Schläge auf den Rücken. Ausserdem bleibt die Wirbelsäule relativ steif. Golowin empfiehlt: «Wer Probleme mit Hüftgelenk und Rücken hat, sollte vorsichtig sein mit hohen Kicks.»
Beim Karate trainiert man Kicks, kraftvolle, dynamische Schrittfolgen und angedeutete Schläge. Das fordert Muskeln und Gelenke. Die Muskeln sollen gezielt angespannt und wieder entspannt werden. Roland Ammermüller aus Romanshorn TG unterrichtet Senioren. Er sagt: «Karate kann man bis ins hohe Alter machen. Der Trainer muss aber die Übungen entsprechend anpassen.» Wer Rheuma oder künstliche Gelenke hat, sollte nicht mit voller Kraft trainieren, empfiehlt Golowin. Besonders gut für den Körper sind die Dehnübungen, die zum Karate gehören. Sie halten beweglich.