Die Covid-19-Impfungen der Firmen Moderna und Pfizer funktionieren auf neuartige Weise: Sie schicken den Körperzellen einen genetischen Bauplan für ein Hülleiweiss des Coronavirus, sogenannte mRNA. Dank dieser fremden mRNA produziert der Körper das Hülleiweiss des Virus, dieses aktiviert das Immunsystem. So erkennt der Körper ab jetzt das Coronavirus und kann es bekämpfen. Der deutsche «Spiegel» spricht von «Supermedizin». Die «Sonntagszeitung» titelt, dies sei ein «Aus-Knopf» für Krankheiten. Und der «Tages-Anzeiger» schreibt von einer «Waffe gegen künftige Pandemien und andere Krankheiten». Bereits sind in der Schweiz rund ein halbes Dutzend Medikamente auf dem Markt, die ähnlich funktionieren (siehe Tabelle im PDF).
Unabhängige Experten sind bei der Einschätzung der neuartigen Medikamente weniger euphorisch als die Presse. Etzel Gysling, Herausgeber der Zeitschrift «Pharma-Kritik», sagt: «Oft fehlen überzeugende Nachweise, dass die Mittel gut wirken.» Auch der Basler Arzt Urspeter Masche sagt: «Es wird sich erst zeigen, ob die Mittel die Medizin revolutionieren.» Solche Ankündigungen würden durch die Realität meistens relativiert.
Das zeigt sich etwa am Beispiel von Leqvio: Der neuartige Cholesterinsenker von Novartis ist seit dem letzten September zugelassen. Die RNA soll verhindern, dass der Körper schädliches LDL-Cholesterin bildet. Etzel Gysling ist skeptisch: «Es ist nicht bewiesen, dass Leqvio Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern kann.» Eine entsprechende Studie wird voraussichtlich erst im Jahr 2026 abgeschlossen sein.
Fachleute warnen vor Fehlreaktionen
Es ist auch nicht klar, ob Leqvio langfristig sicher ist. Das «Arznei-Telegramm» etwa rät von Leqvio ab. Die deutsche Fachzeitschrift warnt vor Immun- und Fehlreaktionen: Die fremde RNA könnte sich an die falsche Stelle heften und im schlimmsten Fall die Produktion eines anderen wichtigen Eiweisses verhindern. Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut schreibt im «Bulletin zur Arzneimittelsicherheit», das könne ein Problem für die Technik sein, weil sie möglicherweise die Sicherheit negativ beeinflusse. Noch wisse man wenig darüber, weil die Mittel neu auf dem Markt seien.
Dazu kommt: Auch solche Medikamente haben Nebenwirkungen. Leqvio kann zu starken Schmerzen an der Stelle führen, wo der Arzt die Spritze setzte. In Studien wollten vier Patienten das Mittel deswegen nicht mehr nehmen.
Das schwedische Medikament Tegsedi soll gegen eine seltene Erbkrankheit helfen, bei der ein Eiweiss verklumpt. Patienten leiden dabei unter Missempfindungen. Tegsedi vermindert die Produktion dieses Eiweisses. Laut Studien hat das Medikament aber schwere Nebenwirkungen: Ein Viertel der Patienten hatte nach der Spritze zu wenig Blutplättchen im Blut, ein Fünftel bekam Nierenprobleme.
Arzt Urspeter Masche weist darauf hin, dass bisher erst wenige Patienten mit den neuen Medikamenten behandelt worden seien. Deshalb müsse man Nutzen und Risiken besonders kritisch anschauen – insbesondere weil es sich um «enorm teure» Medikamente handle.
Spinraza kostet jährlich 270000 Franken
So geriet zum Beispiel das Mittel Spinraza aufgrund seiner hohen Kosten in die Kritik. Es hilft gegen eine schwere Erbkrankheit bei Kindern, die Spinale Muskelatrophie. Dabei stellt der Körper zu wenig Eiweiss her, das für Nervenzellen wichtig ist. Deshalb werden Muskeln immer schwächer. Spinraza kostet 270 000 Franken im Jahr.
Novartis schreibt, es sei erwiesen, dass Leqvio das schädliche LDL-Cholesterin um die Hälfte senken könne. Der Basler Pharmakonzern weist darauf hin, dass gegenwärtig in weiteren Studien untersucht werde, inwiefern das Mittel Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern könne. Das Mittel sei gut verträglich.
Die Firma Biogen schreibt, Spinraza sei mit 10 Studien und 11 000 Patienten gut erforscht. Nach fast fünf Jahren würden alle behandelten Patienten noch leben – fast alle könnten sogar gehen. Die Firma Alnylam erklärt, im Verhältnis zur kleinen Gruppe Betroffener handle es sich um grosse Studien. Die Mittel seien sicher.
So funktionieren Rna-Medikamente
- mRNA (messenger RNA): mRNA ist genetisches Material, das den Bauplan für ein Eiweiss enthält. Kann der Körper ein wichtiges Eiweiss nicht selber herstellen, spritzt man ihm fremde mRNA mit den fehlenden Informationen. Ähnliches passiert bei der mRNAImpfung gegen Covid19. Hier spritzt man dem Körper den Bauplan für ein Eiweiss, das auf der Hülle des Coronavirus sitzt. Der Körper produziert jetzt das fremde Eiweiss – und Antikörper, die das Eiweiss neutralisieren. Das Immunsystem erkennt ab jetzt Coronaviren und kann sie bekämpfen.
- siRNA (small interfering RNA) / aRNA (antisense RNA): siRNA verhindert, dass die körpereigene mRNA ein schädliches Eiweiss herstellt. aRNA kann mRNA nicht nur blockieren, sondern auch aktivieren.