Charlotte Borer aus Embrach ZH hat eine schwere Osteoporose. Sie erlitt deshalb zehn Knochenbrüche. «Ich hatte unvorstellbare Schmerzen und brauchte eine Zeit lang den Rollstuhl», sagt sie. Ihre Suche nach einem geeigneten Medikament ähnelt einer Odyssee. Zurzeit spritzt sie sich jeden Tag das Mittel Forsteo. Das ist ein Hormon der Nebenschilddrüse. Davon bekommt sie aber jeden Morgen heftige Muskelkrämpfe. Ein weiteres Problem: Forsteo darf man nicht länger als zwei Jahre spritzen. Bei Charlotte Borer endet diese Zeit im Februar. Das bereitet ihr Sorgen.
Für Frauen wie Charlotte Borer brachte die Firma UCB-Pharma kürzlich die Spritze Evenity auf den Markt. Der Wirkstoff ist ein Antikörper: Er schwächt einen Stoff, der für den Knochenabbau wichtig ist, damit der Körper wieder Knochengewebe bilden kann. Patientinnen müssen sich das Medikament einmal im Monat spritzen lassen.
Nur wenig besser als bisherige Medikamente
Experten sind skeptisch, denn Evenity kann schwere Nebenwirkungen haben. In Studien erlitten Frauen, welche die neuen Spritzen bekamen, doppelt so häufig einen Herzinfarkt oder Schlaganfall wie solche, die ein anderes Medikament gegen Osteoporose bekamen. Die deutsche Fachzeitschrift «Arznei-Telegramm» rät wegen dieser Gefahr vom Wirkstoff ab. Der Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser sagt: «Es ist derzeit unklar, ob der Nutzen den möglichen Schaden überwiegt.» Er sehe keinen Grund, das Mittel zu verschreiben.
Dazu kommt: Die Spritzen nützen nur wenig besser als bisherige Medikamente, beispielsweise die Tabletten Fosamax. Der Basler Arzt Urspeter Masche sagt: «Man muss 83 Patientinnen behandeln, um einen Bruch an der Hüfte und einem Wirbel zu verhindern.»
Ein weiteres Problem: Nach Absetzen von Evenity werden die Knochen wieder brüchig. Evenity darf man nur ein Jahr lang nehmen; dann braucht man ein anderes Medikament, zum Beispiel bewährte Mittel wie Fosamax oder Bonviva.
Und damit nicht genug: Evenity ist teuer. Die Spritzen kosten im Jahr gegen 12 000 Franken. Zum Vergleich: Bewährte Mittel kosten 220 bis rund 500 Franken. Die Krankenkassen zahlen Evenity nur in Ausnahmefällen: Laut Christophe Kaempf vom Verband Santésuisse braucht es dafür eine Kostengutsprache der Grundversicherung. Der Arzt muss begründen, warum er einer Patientin Evenity geben will.
Bewährte und lang erprobte Alternativen
Für Evenity gibt es Alternativen (siehe Tabelle im PDF): Der Gesundheitstipp hat ein neues Merkblatt mit den wichtigsten Medikamenten gegen Osteoporose zusammengestellt. Mittel wie Aclasta, Bonviva oder Fosamax haben sich bewährt. Sie hemmen den Knochenabbau. Die Vorteile: Sie sind relativ lange erprobt, und Studien zeigten, dass sie Brüche an Rückenwirbeln und Hüften verhindern können. Der Nachteil: Auch wenn Patienten sie oft besser vertragen als andere Medikamente, können auch sie happige Nebenwirkungen haben. Das musste Renate Utzinger aus Jonen AG erfahren. Sie hatte bei ihrer ersten Aclasta-Infusion sehr starke Gliederschmerzen und hohes Fieber: «Ich habe mir geschworen, diese Infusion nie mehr machen zu lassen.» Ein Jahr später rang sich die 64-Jährige nochmals durch, unter der Bedingung, dass die Infusion sehr langsam eingestellt wurde. Seither verträgt sie das Mittel gut.
Medikamente wie Evista und Conbriza wirken wie Östrogenhormone. Masche schreibt in der Zeitschrift «Pharma-Kritik»: «Sie senken die Häufigkeit von Wirbelbrüchen, die von anderen Brüchen nicht.» Die Mittel können aber Beschwerden auslösen, etwa Hitzewallungen. Hormone wie Estradot und Divigel kommen Anfang Wechseljahre infrage.
Evenity-Herstellerin UCB-Pharma erklärt, das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall sei in keiner Studie gezielt untersucht worden. Vorsichtshalber dürften aber Patientinnen, die bereits einen Herzinfarkt hatten, die Spritzen nicht bekommen. Estradot-Herstellerin Novartis schreibt, durch frühe Einnahme von Östrogen könne man dem Verlust an Knochenmasse vorbeugen, falls der Grund die Wechseljahre seien.
Gratis-Merkblatt: «Medikamente gegen Osteoporose»
Das Merkblatt lässt sich hier herunterladen.