Viele Medikamente gelangen ins Gehirn und stören dort chemische Prozesse – und damit oft auch die Lust auf Sex. Für den Wiler Hausarzt Etzel Gysling, Herausgeber des unabhängigen Fachblatts «Pharma-Kritik», besteht kein Zweifel: «Medikamente können zu sexuellen Störungen führen.» Oft sei es aber schwierig, die Störung einem bestimmten Medikament zuzuordnen. Patienten schämen sich, darüber zu sprechen. Ausserdem könnten sexuelle Störungen auch andere Ursachen haben.
Hilfe bietet nun das deutsche Fachblatt «Gute Pillen – schlechte Pillen». Es stellte kürzlich Gruppen von Medikamenten zusammen, die besonders häufig und deutlich die Sexualität stören können.
«Antidepressiva sind Lustkiller»
Dazu gehören vor allem Medikamente gegen psychische Krankheiten. Grund: Sie wirken direkt auf das Gehirn. Zudem beeinflussen sie das Lustempfinden und den Orgasmus, aber auch die Erektion beim Mann.
Die Autoren von «Gute Pillen – schlechte Pillen» schreiben: «Antidepressiva sind als Lustkiller bekannt.» Medikamente wie Deroxat, Seropram oder Zoloft vermindern nicht nur die sexuelle Erregbarkeit, sondern auch die Fähigkeit zum Orgasmus bei beiden Geschlechtern. Diese Antidepressiva hätten «einen besonders schlechten Ruf», stellen die Autoren fest.
Fachleute raten, in solchen Fällen das Medikament zu wechseln. So empfiehlt die Zürcher Gruppenpraxis Medix, auf Antidepressiva mit dem Wirkstoff Mirtazapin auszuweichen. Zu ihnen gehört etwa das Medikament Remeron. Auch der Wirkstoff Bupropion, der in Zyban und Wellbutrin enthalten ist, rufe kaum Erektions- und Orgasmusstörungen hervor.
Die Zürcher Sexualtherapeutin Verena Schönbucher kennt noch einen weiteren Trick: «Man kann versuchen, die Dosis des Medikaments so weit zu senken, dass es trotzdem noch wirkt.» Zudem sollten Patienten die Depression mit anderen Mitteln bekämpfen, so Schönbucher. «Grundsätzlich ist es aber wichtiger, die Depression zu mildern.» Diese könne schliesslich auch Ursache des sexuellen Problems sein.
Die Autoren von «Gute Pillen – schlechte Pillen» empfehlen vor allem Frauen, Sport zu treiben. Joggen – im Idealfall drei Mal dreissig Minuten pro Woche – könne die Probleme deutlich reduzieren.
Erektionsprobleme wegen Blutdruckmitteln
Auch Medikamente gegen hohen Blutdruck sind berüchtigt, weil sie Erektionsstörungen fördern. Vor allem Mittel, die den Harn treiben, und Betablocker stehen in der Kritik. Andere Blutdrucksenker fallen weniger auf, wie Arzt Etzel Gysling bestätigt: «Die am häufigsten verwendeten Blutdrucksenker verursachen diese Probleme seltener.» Dazu gehören die ACE-Hemmer Coveram oder Reniten, aber auch Kalzium-Antagonisten wie Amlodipin oder Exforge. Medikamente, die das Cholesterin senken, können ebenfalls die Lust auf Sex mindern.
Bei Mitteln gegen die gutartig vergrösserte Prostata oder Blasenprobleme müssen Patienten oft Medikamente schlucken, die den Samenerguss verhindern. Dazu gehören Duodart oder Pradif.
Häufig sind Medikamente aber nicht die einzigen Übeltäter: Neben Krankheiten tragen auch Drogen wie Rauchen oder Alkohol zur Sex-Malaise bei. Auch Stress am Arbeitsplatz oder die Angst vor dem Versagen beim Sex sind berüchtigte Erektionskiller, so die Sexualtherapeutin Verena Schönbucher. Das müssten Fachleute genau abklären.
Experten warnen davor, einfach das Medikament abzusetzen, das man im Verdacht hat. Dies kann dazu führen, dass sich der Zustand bei Herz-Kreislauf- oder psychischen Krankheiten rasch verschlechtert. Vorschnell sollte man sowieso keinen Entscheid fällen: Manchmal gegen die Erektionsprobleme nach einigen Wochen von selbst zurück. Bei 1 von 5 Betroffenen verschwinden sie ganz.
Viagra: Keine Hilfe bei Unlustgefühl
Bei Erektionsproblemen setzen Ärzte oft Viagra ein. Gemäss den Leitlinien der Ärztepraxis Medix hilft es etwa 6 von 10 Betroffenen, vorübergehend doch noch eine Erektion zu bekommen. Die Wirkung setzt nach etwa einer halben Stunde ein und bleibt für etwa 3 Stunden bestehen. Bei Ejakulationsproblemen oder einem Mangel an Sexualverlangen hilft Viagra allerdings nicht.
Die Hersteller von Amlodipin, Deroxat, Duodart, Reniten, Risperdal, Sortis und Valium verweisen auf die Patienteninformation: Dort seien Nebenwirkungen aufgeführt. Sanofi, Herstellerin von Aprovel, schreibt, ein Zusammenhang zwischen ihrem Medikament und Störungen der Erektion oder sexueller Dysfunktion sei in Studien nicht bewiesen worden. Novartis schreibt, die meisten Nebenwirkungen von Anafranil verschwänden im Laufe der Behandlung oder nach Reduktion der Dosis. Studien könnten einen Zusammenhang zwischen Exforge und Erektionsstörungen nicht nachweisen, so Novartis weiter. Bei Diovan zeigten Studien gelegentlich verminderte Libido. Bei Lescol lägen keine verlässlichen Angaben über Erektionsstörungen vor. Sandoz schreibt, bei Bilol seien Erektionsstörungen «selten».
Tipps
- Reden Sie mit Ihrem Partner über Ihr Sexleben.
- Setzen Sie sich nicht unter Druck. Sex passiert oft, wenn man ihn nicht plant.
- Lassen Sie sich mehr Zeit für das Kuscheln und das Vorspiel.
- Sprechen Sie Ihren Hausarzt auf das Problem an: Vielleicht hilft ein Wechsel des Medikaments.
- Bei Erektionsstörungen kann ein Medikament wie Viagra in Frage kommen.
- Suchen Sie mit Ihrem Partner einen erfahrenen Sexualtherapeuten auf. Ein Gespräch kann Blockaden abbauen.