Seit zwei Monaten schluckte der 70-jährige Patient einen Cholesterinsenker. Plötzlich fühlte er sich schlecht und musste immer wieder erbrechen. Am ganzen Körper hatte er einen Hautausschlag, besonders stark an Bauch und Unterschenkeln. Die Beschwerden verschlimmerten sich. Die Diagnose im Spital: akute Leberentzündung. Nach vier Tagen starb der Patient am starken Leberschaden.
Von diesem Fall berichtete der deutsche Mediziner Ulrich Rosien vom Israelitischen Krankenhaus Hamburg kürzlich im Fachblatt «Arzneiverordnung in der Praxis». Es sei «wahrscheinlich», dass der Cholesterinsenker mit dem Wirkstoff Rosuvastatin die Ursache war. Er kommt zum Beispiel im Medikament Crestor vor.
Der 70-Jährige ist kein Einzelfall. Medikamente lösen oft schwere Leberschäden aus. Gemäss der «Pharmazeutischen Zeitung» verursachen sie jede dritte akute Leberentzündung und sind die häufigste Ursache für plötzliches Leberversagen. Pro Jahr erleiden 14 bis 19 von 100 000 Leuten einen Leberschaden durch Medikamente.
Jetzt zeigt sich: Mit dem Alter steigt das Risiko markant. Zu diesem Schluss kam eine neue Studie der Universität Chengdu in China im Fachjournal «Frontiers in Medicine». Die Forscher werteten fast 65000 Fälle aus, bei denen ein Medikament zu einem Leberschaden geführt hatte. Das Risiko war bereits ab 53 Jahren erhöht. Ein Grund, so der Berner Pharmakologe Bernhard Lauterburg: «Ältere Menschen nehmen häufig mehrere Medikamente ein.» Die Kombination belaste die Leber. Zudem funktioniere im Alter die Leber oft nicht mehr so gut.
Besonders deutlich steigt das Risiko bei Cholesterinsenkern, wie sie der Patient aus Deutschland nahm – sogenannte Statine wie Crestor oder Livazo. Das zeigte die chinesische Studie. Auch aus der Schweiz sind solche Fälle bekannt: Die Arzneimittelbehörde Swissmedic erfasste in den letzten zehn Jahren über 200 Fälle. Ulrich Rosien bestätigt: «Leberschäden sind eine bekannte Nebenwirkung von Statinen.»
Auch wenn sie nur bei wenigen Patienten auftrete – sie könne schwerwiegende Folgen haben und lebensbedrohlich sein. Rosien rät deshalb, vor allem zu Beginn der Therapie regelmässig die Leberwerte zu kontrollieren. Besonders störend: Ärzte setzen Patienten dem Risko oft unnötig aus.
Vor allem ältere, bisher gesunde Menschen bekommen Statine verschrieben, obwohl sie keine benötigen. Die Cholesterinsenker schützen sie nicht vor Herzinfarkten. Das zeigte 2018 eine Studie im «British Medical Journal». Forscher der Universität von Girona in Spanien werteten die Daten von mehr als 46000 Senioren über 75 Jahren aus (Gesundheitstipp 12/2019).
Gewisse Schmerzmittel sind ebenfalls heikel
Auch bei anderen Medikamenten zeigte die chinesische Studie ein erhöhtes Risiko für Leberschäden. Beispiel Blutdrucksenker: Hier sind es Mittel wie Dilzem und Norvasc, also Kalziumantagonisten. Bei Lasix, Torem oder Coversum ist das Risiko hingegen nicht höher als für jüngere Patienten (siehe Tabelle im PDF).
Bei Pillen gegen Schmerzen und Entzündungen gilt für ältere Leute beim Wirkstoff Diclofenac Vorsicht, ebenso bei Mitteln wie Arcoxia und Celebrex. Ärzte setzen die Medikamente oft bei Rückenweh und Gelenkproblemen ein. Pharmakologe Lauterburg sagt: «In vielen Fällen gibt es Alternativen, die ein geringeres Risiko für Leberprobleme haben.» Bei den Entzündungshemmern sind dies die Wirkstoffe Ibuprofen und Naproxen.
Bei den meisten Medikamenten gilt: Das Risiko für die Leber hängt nicht von der Dosis ab. Der 70-jährige Patient aus Deutschland nahm nur zehn Milligramm Rosuvastatin pro Tag ein. Anders ist dies beim Schmerzmittel Paracetamol. Lauterburg: «In höheren Mengen schädigt es bei jedem die Leber.» Paracetamol ist weltweit für die meisten Fälle von akutem Leberversagen verantwortlich. Das passiert bereits ab rund acht Gramm.
So berichtete Tox Info Schweiz im «Swiss Medical Forum» von einer 19-jährigen Patientin, die wegen Magen-Darm-Koliken zuerst zwei Gramm Paracetamol nahm, am nächsten Tag acht Gramm. Zwei Stunden später wurde ihr übel, sie musste mehrmals erbrechen. Auf dem Notfall stellten die Ärzte akutes Leberversagen fest. Ursache war die Überdosis Paracetamol. Patienten sollten höchstens vier Gramm pro Tag einnehmen.
Bluttest gibt Auskunft über Zustand der Leber
Bei allen anderen Medikamenten gilt: Solange man keine Beschwerden hat, besteht kein Grund zur Sorge. Man sollte aber gut auf Anzeichen eines Leberschadens achten (siehe unten links). Der Arzt kann dann mit einem Bluttest herausfinden, ob die Leber geschädigt ist. Wenn man das Medikament absetzt, erholt sich die Leber in vielen Fällen wieder.
Die Hersteller schreiben, der Nutzen der Medikamente überwiege das Risiko. Sie verweisen auf die Packungsbeilage. Dort seien die Risiken und die Vorsichtsmassnahmen erwähnt. Bayer schreibt, es lägen keine Hinweise für ein erhöhtes Risiko für Leberschäden bei Aspirin, Xarelto und Ciproxin für ältere Menschen vor. Laut Astra Zeneca sollten Ärzte vor und nach Beginn der Therapie mit Crestor die Leberfunktion prüfen. Zudem weise die chinesische Studie nicht nach, ob das Medikament tatsächlich die Ursache für die Leberschäden war.
Achten Sie auf diese Beschwerden
Folgende Beschwerden deuten auf eine geschädigte Leber hin. Melden Sie sich beim Ihrem Hausarzt, damit er Ihre Leberwerte überprüfen kann.
- Appetitlosigkeit
- Übelkeit und Erbrechen
- Gelb gefärbte Haut und Augen
- Dunkler, brauner Urin
- Juckreiz
- Schmerzen oder Druck im Oberbauch
- Ungewollter Gewichtsverlust
Aufruf: Leiden Sie wegen Medikamenten unter Leberproblemen?
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