Seit ihrer Kindheit hatte Sandra Gatti nach dem Essen oft Bauchkrämpfe. «Ich litt sehr darunter», sagt die 53-Jährige aus Brütten ZH. Die Beschwerden liessen nur nach, wenn sie sich nach dem Essen hinlegen konnte. Ärzte fanden keine Ursache, schoben es auf die Psyche oder meinten, sie habe zu viel Luft geschluckt. Sie verschrieben Gatti das Mittel Iberogast. Doch die Tropfen halfen nicht.
Gegen Bauchkrämpfe hat Swissmedic kürzlich ein neues Medikament zugelassen: Spaverin. In Ungarn ist es schon lange verfügbar. Deshalb habe man den Nutzen und die Sicherheit «nur stichpunktartig geprüft», heisst es bei der Heilmittelbehörde auf Swissmedic.ch.
Kinder und Jugendliche dürfen Spaverin nicht einnehmen
Fachleute raten von Spaverin ab. Der Arzt Etzel Gysling aus Wil SG empfiehlt in der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik», weitere Studien abzuwarten, bevor man das Mittel verwende. Die vorhandenen Daten seien «zu spärlich», um die Vorteile und Risiken zufriedenstellend abschätzen zu können.
Auch der Magen-Darm-Spezialist Max Giger aus Winterthur ZH sagt: «Die Wirksamkeit ist wissenschaftlich eher knapp belegt.» Kinder und Jugendliche dürfen das Medikament nicht nehmen.
Andere krampflösende Medikamente sind in der Schweiz schon lange erhältlich (siehe Tabelle). Die meisten entspannen wie Spaverin die glatten Muskeln der inneren Organe, die man nicht willkürlich steuern kann. Viele der Mittel können beträchtliche Nebenwirkungen haben. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser sagt, er verschreibe die Mittel bei Bauchweh nicht. Duspatalin ist in der Schweiz seit 1967 zugelassen. Die Wirkung ist laut Max Giger schlecht belegt.
Nach der Markteinführung berichteten Patienten von allergischen Reaktionen. Und 2023 informierte die niederländische Arzneimittelbehörde über weitere Nebenwirkungen: Kopfweh und Schwindel. Der Wirkstoff im Mittel Buscopan dockt an bestimmte Rezeptoren an und blockiert so Schmerzen. Buscopan kann Hautausschläge, einen beschleunigten Puls, Atemnot oder Probleme beim Wasserlassen verursachen. Zu chemischen Mitteln gibt es pflanzliche Alternativen.
Auch sie können riskante Nebenwirkungen haben – vor allem Iberogast. Das Mischpräparat besteht aus insgesamt neun Heilpflanzen: Iberis amara, Kamillenblüten, Pfefferminze, Süssholzwurzel, Melissenblätter, Kümmelfrüchte, Schöllkraut, Angelikawurzel und Mariendistel. Iberogast kann zu Ausschlägen, Kreislauafproblemen und Atemnot führen. Auch einzelne Fälle von Leberschäden sind bekannt. Seit Ende Januar sind in der Schweiz Iberogast-Magentropfen erhältlich, die kein Schöllkraut enthalten. Dieses stand im Verdacht, der Leber zu schaden.
Pfefferminzöl und Kümmelöl sind bedingt empfehlenswert
Pfefferminzöl lindert laut einer Übersichtsstudie von 2019 Bauchkrämpfe. Forscher der John-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) werteten dazu zwölf Studien mit über 800 Patienten aus. Pfefferminzöl steckt etwa in ColperminKapseln. Sie sind unempfindlich gegen Magensäure und entfalten ihre Wirkung erst im Dickdarm. Oft kommt es aber zu Sodbrennen und Übelkeit. Laut Thomas Walser muss man die Kapseln eine halbe Stunde vor dem Essen nehmen.
Mittel wie Carmenthin und Gaspan enthalten neben Pfefferminzöl Kümmelöl. Die Kombipräparate wirken gegen Bauchweh. Das zeigt eine Übersichtsstudie des unabhängigen Forschernetzwerks Cochrane. Sie umfasst 41 Studien mit fast 4500 Teilnehmern. Statt teure Präparate zu schlucken, kann man laut der Goethe Universität in Frankfurt aus Kümmelsamen einen Tee zubereiten. Dafür zerstösst man zwei Teelöffel davon in einem Mörser, lässt diese rund 15 Minuten in kochendem Wasser ziehen und siebt sie danach ab.
Neben Kümmel sind auch Anis und Fenchel gute Mittel bei Bauchweh. Thomas Walser: «Sie wirken vor allem auf den Magen und den Dünndarm.» Laut der Goethe-Universität lindert auch Pfeffermzintee Bauchkrämpfe. Dazu übergiesst man einen Esslöffel getrocknete Blätter mit 1,5 Deziliter kochendem Wasser und lässt das Ganze zehn Minuten ziehen. Von dem Tee sollte man am Tag etwa vier Tassen zwischen den Mahlzeiten trinken.
Gesundheitstipp-Ärztin Stephanie Wolff empfiehlt homöopathische Mittel – zum Beispiel das Komplexmittel «Similasan Nervöse Bauchkrämpfe». Auch eine Wärmeflasche oder ein Kirschsteinkissen lindern oft die Beschwerden. Max Giger rät, akute Schmerzen mit einfachen Schmerzmitteln wie Paracetamol oder Ibuprofen zu behandeln. Thomas Walser sagt: «Bei starken, schneidenden Schmerzen sollte man zum Arzt gehen.»
Sandra Gatti stellte schliesslich fest, dass sie bestimmte Lebensmittel nicht verträgt. Heute verzichtet sie auf Weizenprodukte und Lebensmittel mit viel Histamin. «So lebe ich seit zehn Jahren meist beschwerdefrei», sagt sie.
Die Firma Bayer schreibt dem Gesundheitstipp, mehrere Studien hätten gezeigt, dass Iberogast classic wirke. Nebenwirkungen seien im Beipackzettel aufgeführt. Auch Einzelfälle von Leberschäden seien bekannt. Spaverin-Hersteller Meditop teilt mit, mehrere Arzneimittelbehörden hätten die Wirksamkeit des Mittels überprüft. Jedes Medikament könne Ausschlag oder Juckreiz hervorrufen.
Laut Swissmedic ist die Evidenzlage für Spaverin insgesamt gut. Das bedeute aber nicht, dass es bei allen gleich gut wirke. Opella schreibt, bei Buscopan würden die Vorteile überwiegen.