Carmen Ottiger aus Deitingen SO hatte im Alter von 18 Jahren ihren ersten epileptischen Anfall. Daraufhin musste sie jahrelang das Mittel Topiramat nehmen, damit sie keine weiteren Anfälle bekam. Damals verhütete sie zunächst mit der Pille, später wechselte sie zur Hormonspritze. Was Ottiger nicht wusste: Topiramat schwächt die Wirkung der Hormone in solchen Verhütungsmitteln.
Im schlimmsten Fall führt das zu einer ungeplanten Schwangerschaft. Weder der Neurologe noch der Frauenarzt der heute 33- Jährigen wiesen sie damals darauf hin. «Nach drei Jahren erfuhr ich zufällig davon», sagt Ottiger.
Ärzte warnen zu wenig vor den Risiken
Hinzu kommt: Topiramat ist ein heikles Medikament, wenn man schwanger ist. Denn es kann zu Fehlbildungen beim Baby führen. Carmen Ottiger nimmt nun ein Medikament, bei dem dieses Risiko geringer ist, und sie wechselte den Neurologen und den Frauenarzt.
Die Solothurnerin ist kein Einzelfall. Eine Übersichtsstudie, die 2019 im Fachmagazin «The Lancet Neurology» erschien, kommt zum Schluss: Ärzte klären Frauen mit Epilepsie ungenügend über mögliche Wechselwirkungen auf.
Das geht aus zwölf Studien hervor, bei denen Forscherinnen Frauen mit Epilepsie befragten. Die Schweizerische Epilepsie-Liga bestätigt das: In einem Infoschreiben mahnt sie Frauenärzte und Neurologen zur Vorsicht bei der Kombination von Epilepsiemitteln mit der Pille.
Auch Antidepressiva und Antibiotika heikel
Epilepsiemittel sind nicht die einzigen Medikamente, bei denen man aufpassen muss. Es gibt noch viele weitere Mittel, welche die Wirkung von Pille, Hormonpflaster, Vaginalring und Hormonspritze schwächen und so das Risiko einer Schwangerschaft erhöhen. Pharmakologe Stefan Weiler von der ETH Zürich sagt: «Der Einfluss ist stärker, wenn Frauen die Medikamente über längere Zeit kombinieren.»
Das gilt auch für Medikamente, die man nur für kurze Zeit nimmt, etwa Antibiotika. Der Gesundheitstipp hat die wichtigsten Medikamente zusammengestellt, bei denen man vorsichtig sein sollte. Einige Beispiele:
Abführmittel: Mittel zum Abführen fördern den Stuhlgang. Hat eine Frau kurz zuvor die Pille genommen, scheidet sie sie womöglich mit aus. Dann schützt sie nicht zuverlässig. Denn es dauert eine Weile, bis die Wirkstoffe der Pille vom Darm ins Blut gelangen. Frauen sollten Abführmittel darum erst vier Stunden nach der Pille nehmen. Auch Durchfall und Erbrechen bis zu vier Stunden nach dem Einnehmen der Pille führen dazu, dass die Wirkstoffe nicht vollständig ins Blut gelangen.
In diesem Fall sollte die Frau eine weitere Pille aus einer Reservepackung nehmen. Während einer Magen-Darm-Krankheit sollte man zusätzlich mit einem Kondom verhüten.
Antibiotika: Vorsicht gilt auch bei Antibiotika mit den Wirkstoffen Rifampicin und Rifabutin. Sie schwächen die Wirkung der Hormone in Verhütungsmitteln, indem sie deren Abbau im Körper beschleunigen. Es ist unklar, ob dies auch bei anderen Antibiotika wie Penicillin der Fall ist. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft veröffentlichte im Jahr 2021 eine Übersichtsarbeit.
Darin heisst es: Ein Versagen der Pille sei im Einzelfall auch bei anderen Antibiotika möglich, das Risiko dafür sei jedoch gering. Die Empfehlung der Kommission: Wer Antibiotika einnimmt, sollte vorsichtshalber zusätzlich verhüten.
Antidepressiva: Auch Johanniskraut fördere den Abbau der Hormone in der Leber, sagt Experte Stefan Weiler. Auf diese Weise reduziere es die Konzentration der Wirkstoffe im Körper. Ärzte setzen Johanniskraut bei leichten Depressionen ein. Der Berner Pharmakologe Bernhard Lauterburg rät dazu, Johanniskraut nicht gleichzeitig zu nehmen, wenn man mit Hormonen verhütet: «Das Risiko einer unerwünschten Schwangerschaft ist zwar klein.» Dafür seien die Konsequenzen umso einschneidender, wenn es doch dazu komme.
Kondom und Diaphragma als Alternative
Frauen, die mit hormonellen Mitteln verhüten und auf heikle Medikamente angewiesen sind, empfiehlt Frauenärztin Dorin Ritzmann aus Dietikon ZH Folgendes: «Bei Mitteln, die man nur für kurze Zeit nimmt, kann man gut bis zur nächsten Periode mit Kondomen verhüten.» Als Alternative kommt in dieser Zeit auch ein Diaphragma infrage. Die Ärztin oder der Arzt muss es individuell anpassen und erklären, wie man es anwendet, sagt Ritzmann.
Frauen führen es ähnlich ein wie einen Tampon. Es verhindert, dass die Spermien mit der Eizelle in Kontakt kommen. Wer dagegen heikle Medikamente langfristig einnimmt, sollte sich für eine andere Verhütungsmethode entscheiden: «Zum langfristigen Verhüten empfehle ich das Diaphragma oder eine Hormonspirale. Für Frauen mit schwacher und schmerzfreier Periode kommt die Kupferspirale infrage», sagt Ritzmann. Die Hormonspirale wirkt lokal, weshalb problematische Medikamente ihre Wirkstoffe nicht beeinflussen.
Zudem sagt Ritzmann: «Es ist empfehlenswert, der Ärztin oder dem Arzt mitzuteilen, wenn man die Pille nimmt und ein neues Medikament bekommt.»
Pharmakologe Weiler empfiehlt, den Beipackzettel zu lesen. Dort sind allfällige Wechselwirkungen mit der Pille erwähnt. Bei manchen Medikamenten ist es möglich, auf einen Wirkstoff auszuweichen, der Mittel mit Hormonen nicht stört. Bei Epilepsiemedikamenten sind das die Wirkstoffe Gabapentin und Pregabalin. Die Hersteller der Medikamente verweisen gegenüber dem Gesundheitstipp auf die Informationen in der Packungsbeilage.
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