Am Sonntag, 9. Mai, liefen weltweit Hobbysportler, Profis und Prominente den World Run der Stiftung Wings for Life. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Forschung zu fördern, um Querschnittlähmungen zu heilen. Seit 2014 organisiert sie deshalb Sponsorenläufe. Einer ihrer Botschafter ist der ehemalige Skirennfahrer Marco Büchel: «Ich will mithelfen, Geld für die Rückenmarkforschung zu sammeln.» Im vergangenen Jahr kamen bei dem Lauf rund 3 Mil lionen Franken zusammen.
Hinter der wohltätigen Organisation steht ein umstrittenes Unternehmen: Red Bull. Dessen Gründer Dietrich Mateschitz ist Mitbegründer der Stiftung und sitzt im Beirat. Zudem finanziert Red Bull die Stiftung teilweise. So bezahlt der Konzern laut Website die administrativen Kosten.
Der Hersteller von Energydrinks machte sich bisher nicht mit dem Fördern der Gesundheit einen Namen. Im Gegenteil: Bei hochriskanten Extremsportveranstaltungen von Red Bull verletzten sich immer wieder Teilnehmer. Einige landeten im Rollstuhl.
Viele Schwerverletzte bei Red-Bull-Events
Zum Beispiel Paul Basagoitia: Der heute 34-jährige Mountainbiker aus den USA nahm 2015 am Red Bull Rampage teil. Bei dem Freeride-Wettbewerb in der Wüste des US-Bundesstaats Utah rasen die Sportler mit dem Velo einen steilen Berg hinunter. Sie überspringen meterhohe Felswände, fahren haarscharf am Abgrund. Basagoitia stürzte dabei schwer und erlitt eine teilweise Querschnittlähmung.
Auch bei einem Red-Bull-Flugtag im rumänischen Bukarest verletzte sich eine 26-jährige Frau schwer an der Wirbelsäule. Bei der Werbeveranstaltung von Red Bull stürzen sich Teilnehmer mit selbstgebastelten Fluggeräten von einer Rampe ins Wasser. Die junge Frau knallte mit ihrem Gefährt ungebremst auf die Wasseroberfläche. Auch in Zürich gab es Verletzte bei einem Red-Bull-Flugtag.
Kein Wunder, kommt Sportwissenschafter Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln zum Schluss: «Das Engagement der Firma Red Bull für Querschnittgelähmte erscheint mir scheinheilig.» Auch für Wirtschaftsethikerin Marianthe Stavridou von der Universität Zürich hat die Stiftung von Red Bull weniger mit ethischem Handeln zu tun: «Es ist eine Marketingstrategie.» Unternehmen investieren in soziale Projekte – vor allem dann, wenn sie in die Kritik geraten sind. Dies soll «die Fassade des Unternehmens aufpolieren», so Stavridou.
Denn Fachleute sind sich einig: Red Bull trägt eine Mitverantwortung für die Unfälle. Froböse: «Was Red Bull macht, ist teilweise eine Pervertierung des Sports.» Die Veranstaltungen hätten mit Sport wenig zu tun. Sie würden vor allem vom Reiz leben, dass Sportler Grenzen überschreiten und dabei nicht selten sogar Schaden nehmen. Wirtschaftsethiker Florian Krause von der Universität St. Gallen: «Solche Werbeveranstaltungen ermuntern Sportler zu immer waghalsigeren Aktionen.» Dabei riskieren sie ihre Gesundheit und ihr Leben. Bisher kam es bei Red-Bull-Veranstaltungen schon zu acht Todesfällen (Gesundheitstipp 9/2015).
Red Bull relativiert Gefahr im Extremsport
Red Bull schiebt die Verantwortung von sich: In ihrer Zeitschrift «Red Bulletin» betont die Firma, dass Extremsportarten nur für drei Prozent der Querschnittlähmungen verantwortlich seien, andere Sportarten für sechs Prozent. Jeder zweite Betroffene werde bei Verkehrsunfällen an der Wirbelsäule verletzt. Die Zahlen aus der Schweiz zeigen ein anderes Bild: Unter den Patienten der Schweizer Paraplegiker-Stiftung hatten sich in den letzten zehn Jahren etwa gleich viele Leute beim Sport verletzt wie bei Verkehrsunfällen. 2020 waren es doppelt so viele Sportunfälle. Die Patienten verletzten sich beim Skifahren, Biken, Motocross, Gleitschirmflug oder bei einem Sprung ins Wasser. Auch hier hat das Sponsoring von Extremsportanlässen einen Einfluss. Wirtschaftethiker Krause sagt: «Es führt zu einer Normalisierung des Extremen.» Wenn man bei Veranstaltungen, im Internet oder am Fernsehen ständig solche Bilder sehe, erscheine das Gefährliche bald normal. Das senke bei einigen Sportlern die Hemmschwelle, mehr Risiken einzugehen.
Aus den Reihen der Paraplegiologie-Ärzte braucht Red Bull keine Kritik zu fürchten. Denn die meisten Zentren bekommen von der Stiftung Wings for Life Geld für Forschungsprojekte. In der Schweiz etwa finanzierte die Stiftung bereits rund 20 Projekte, unter anderem im Paraplegiker-Zentrum in Nottwil LU, an der Zürcher Universitätsklinik Balgrist sowie an der Universität und an der Technischen Hochschule in Genf. Weltweit sind es über 200 Projekte.
Der deutsche Paraplegiologie-Experte Thomas Liebscher vom Unfallkrankenhaus Berlin sagt: «Wings for Life ist weltweit einer der wichtigsten Geldgeber für die Rückenmarkforschung.» Denn es sei schwierig, dafür Geld von der öffentlichen Hand zu erhalten. Deshalb unterstütze er die Tätigkeit von Wings for Life. Die Stiftung helfe, die Behandlung und die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern.
Querschnittlähmung noch lange nicht heilbar
Das Ziel – Querschnittlähmung zu heilen – sieht er jedoch kritisch. «Ich werde das nicht mehr erleben», sagt Liebscher. Auch der Schweizer Sportarzt Peter Schnorr zweifelt: «Die Forschung ist noch lange nicht so weit, dass sich eine Querschnittlähmung heilen lässt.» Umso wichtiger sei es, Sportler vor solchen schwerwiegenden Verletzungen zu schützen.
Marco Gröbner, Pressesprecher der Stiftung Wings for Life, schreibt, Red Bull ermögliche, dass 100 Prozent der Spendengelder in die Forschung fliessen können. Die Stiftung sei aus persönlichem Anlass von Firmengründer Dietrich Mateschitz und dessen Freund ins Leben gerufen worden.
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