Die Zutatenliste der Betty-Bossi-Fruchtwähe aus dem Coop liest sich wie eine Anleitung aus dem Chemiebaukasten: Modifizierte Stärke, Glucosesirup, Zitronensäure und Kaliumsorbat. Im Léger-Erdbeerjoghurt der Migros hat es Inulin, Oligofruktose, den Süssstoff Aspartam, Aromen und Milchprotein. Viel Chemie steckt zum Beispiel auch in Tiefkühlpizzas, Instantsuppen und Frühstücksflocken.
Solche Fertigprodukte aus den Labors der Lebensmittelindustrie schaden der Gesundheit. Das zeigen immer mehr Studien. Leute, die oft Industrieprodukte essen, haben ein höheres Risiko, frühzeitig zu sterben. Zu diesem Schluss kam kürzlich eine französische Studie der Uni Paris mit fast 45 000 Teilnehmern. Bereits zuvor fanden Forscher aus Spanien, Brasilien und Frankreich heraus, dass bei Liebhabern von Fertiggerichten auch das Risiko für Krebs, hohen Blutdruck, Depressionen und Übergewicht steigt. Der brasilianische Ernährungswissenschafter Carlos Monteiro von der Universität São Paulo etwa verglich die Essgewohnheiten in 19 europäischen Ländern: Vor allem in Grossbritannien, Deutschland und Finnland kommen viele Fertiggerichte auf den Tisch. In diesen Ländern sind auch besonders viele Menschen fettleibig.
Zahlen aus der Schweiz gibt es bis jetzt nicht. Wissenschafter aus Zürich und Bern arbeiten daran, wie der Ernährungsmediziner David Fäh von der Berner Fachhochschule bestätigt.
Für Carlos Monteiro ist klar: «Industriell stark verarbeitete Lebensmittel sind eine der grössten Gefahren für die Gesundheit.» Sie seien so schlimm wie Zigaretten. Auch für David Fäh ist «eines der wichtigsten Kriterien für die Gesundheit», wie stark ein Lebensmittel verarbeitet ist. Der deutsche Ernährungsfachmann Hans-Ulrich Grimm bestätigt: «Je stärker verarbeitet, desto riskanter.» Dies liege nicht allein daran, dass Fertigprodukte oft viel Zucker, Fett, Salz und Kalorien enthalten. Eine Rolle spielten auch die unnatürlichen Zutaten.
Beispiel Phosphate (Gesundheitstipp 2/2019): Sie machen Schmelzkäse weich, Cola sauer und Wurstbrät fein. Doch wer viel davon isst, bekommt verkalkte Blutgefässe. Auch künstliche Süssstoffe wie Aspartam schaden, denn sie fördern Diabetes, Übergewicht und hohen Blutdruck. Hans-Ulrich Grimm ergänzt: «Geschmacksverstärker und Aromen täuschen zudem die Sinne und tricksen die Kontrollmechanismen des Körpers aus.» Die Folge: Man isst zu viel.
Was stark verarbeitet ist, sollte man meiden
Carlos Monteiro hat ein System entwickelt, um problematische industrielle Lebensmittel von anderen zu unterscheiden: die Nova-Klassifizierung. Sie teilt Lebensmittel in vier Gruppen ein – je nachdem, wie stark sie verarbeitet sind (siehe Tabelle im PDF).
Die Gruppe 1 ist am besten für die Gesundheit: Frisches oder tiefgekühltes Obst und Gemüse, Naturejoghurt, Haferflocken oder Fisch. Die Lebensmittel der Nova-Gruppe 4 sind am stärksten verarbeitet und enthalten industriell hergestellte Zutaten wie E-Nummern, Molkenprotein oder Glukosesirup.
Die vier Nova-Gruppen sind mit den Ampelfarben von Grün bis Rot gekennzeichnet – ähnlich wie das in der Schweiz eingeführte Label «Nutri-Score» (Gesundheitstipp 4/2019).
Bereits heute verwenden Wissenschafter das Nova-System für Ernährungsstudien, um zu zeigen, wie schädlich Industrie-Lebensmittel sind. Auch Behörden greifen für Ernährungsrichtlinien darauf zurück. Beispiel Frankreich: Bis ins Jahr 2022 soll die Bevölkerung mindestens 20 Prozent weniger Nova-4-Lebensmittel konsumieren. Das schlägt die Gesundheitskommission der Regierung vor. Die brasilianischen Behörden raten gar, ganz darauf zu verzichten.
Die Schweiz hinkt hinterher. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit sieht keinen Grund, von hoch verarbeiteten Produkten abzuraten. Es setze auf den Dialog mit den Herstellern, damit diese ihre Rezepturen «optimieren».
Die Nova-Klassifizierung findet man heute zwar noch auf keinem Produkt – aber im Internet unter Ch.openfoodfacts.org oder als Handy-App.
Die Migros schreibt, die Behörden hätten Süssstoffe und andere Zusatzstoffe wie im Léger-Joghurt als unbedenklich eingestuft. Coop sagt, die Betty-Bossi-Fruchtwähe unterscheide sich kaum von einer zu Hause hergestellten Wähe. Inhaltsstoffe und Nährwerte seien auf der Packung ersichtlich.