Céline Parolo (41) aus Erlinsbach SO hat schon viele Diäten gemacht. Doch mit keiner gelang es ihr abzunehmen – nachher war sie meist noch schwerer. Ihr Problem: Wenn sie gestresst oder unzufrieden ist, plagen sie Heisshungeranfälle, manchmal mehrmals pro Woche. «Am liebsten esse ich dann Süsses», erzählt sie. «Zum Beispiel Schokolade, Kuchen oder auch alles, was fettig und ungesund ist, etwa Chips und Sandwichs.» Die Folge: Céline Parolo wurde massiv übergewichtig.
Fett und Kohlenhydrate verlocken zum Essen
Die unbeherrschte Lust auf Süssigkeiten und salzige Snacks ist ein verbreitetes Problem. Der Heisshunger tritt bei vielen Leuten nach sportlichen Aktivitäten auf, bei harten Diäten, Schlafmangel oder in der Schwangerschaft. Die Ernährungsberaterin Ramona Schürch vom Spital Zofingen AG sagt: «Viele Leute konsumieren dann Süssigkeiten und Snacks unkontrolliert.» Der intensive Geschmack und der Mix aus Kohlenhydraten und Fett verlocken zum Essen. Zudem haben Süssigkeiten bei Stress oder Langeweile einen beruhigenden Effekt. Denn sie wirken aufs Belohnungssystem im Gehirn, wo Glückshormone ausgeschüttet werden. Solche Produkte machen kaum satt, weil sie wenig Eiweiss und Nahrungsfasern enthalten.
Fachleute empfehlen Betroffenen, in der Wohnung keine Süssigkeiten und andere kalorienreiche Produkte zu lagern. Dagmar Pauli, Chefärztin an der Psychiatrischen Uniklinik Zürich, erklärt: «Das Risiko ist zu gross, dass man mit dem Konsum nicht mehr aufhören kann.» Céline Parolo verhält sich inzwischen entsprechend: «Ich bewahre zu Hause nie Süssigkeiten auf.»
Striktes Verbot von Süssem bringt nichts
Allerdings sollte man auf verführerische Produkte wie Snacks und Süsses nicht völlig verzichten. Denn ein strikes Verbot kann laut Fachleuten erst recht einen Heisshunger auf solche Produkte auslösen. Das haben Studien gezeigt. Der Psychiater Stephan Trier, ärztlicher Direktor der Klinik Aadorf TG, erklärt: «Ein restriktives Essverhalten erhöht die Gefahr eines Kontrollverlusts und damit von Essanfällen, besonders bei hoher Stressbelastung.»
Einfache Tipps können Betroffenen helfen: Statt einer Packung Guetsli beim Grossverteiler sollten sie etwa in der Bäckerei nur eine kleine Portion Süssigkeit kaufen. Die Ärztin Bettina Isenschmid, Spezialistin für Übergewicht am Spital Zofingen AG, kennt einen weiteren Trick: Leute, denen der Verzicht auf Süssigkeiten schwerfällt, könnten in einem ersten Schritt Salzstengeli, Joghurt mit Schokoladegeschmack oder Ähnliches kaufen. Solche Produkte haben weniger Kalorien als Schokolade und Kuchen.
Die wichtigste Massnahme gegen Heisshungeranfälle ist eine regelmässige, ausgewogene und leichte Ernährung. Ernährungsberaterin Ramona Schürch sagt: «Das hilft in vielen Fällen bereits.» Am besten füllt man den Kühlschrank mit Salat und Gemüse. Diese Lebensmittel haben fast keine Kalorien. Man darf davon so viel essen, wie man will, bis der Bauch voll ist und das Sättigungsgefühl eintritt. Das hat sich auch Céline Parolo zu Herzen genommen: Sie achtet darauf, dass sie immer Früchte und Gemüse zu Hause hat.
Wer wegen Frustgefühlen oder Stress zu Essanfällen neigt, sollte auch nach seelischen Ursachen suchen. Ärztin Dagmar Pauli empfiehlt Betroffenen, Alternativen zum Essen zu suchen, um negative Gefühle zu bewältigen und sich zu entspannen: «Den einen hilft Meditation, anderen Bewegung an der frischen Luft oder ein Gespräch mit einer Freundin.»
Studien zeigen: Psychotherapien helfen
Die Ernährungsberaterin Ramona Schürch sagt: «Wenn man merkt, dass man nicht weiterkommt, oder wenn die Heisshungeranfälle den Alltag stark belasten, sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.» Spitäler und Kliniken bieten Therapieprogramme an. Dabei lernen die Patienten, zu einem normalen Essverhalten zurückzufinden und die psychischen Ursachen der Heisshungeranfälle anzugehen. Eine Übersichtsstudie von Psychologen der Washington University (USA) zeigte vor acht Jahren: Solche Psychotherapien helfen Patienten, Essattacken zu vermeiden. Am besten hilft laut der Studie eine kognitive Verhaltenstherapie.
Céline Parolo hat sich für eine solche Binge-Eating-Therapie im Spital Zofingen entschieden: «Das hat mir sehr geholfen.» Sie nahm 17 Kilo ab und konnte auf eine geplante Magenoperation verzichten.
So vermeiden Sie Heisshungeranfälle
Ernähren Sie sich leicht und ausgewogen. Füllen Sie den Teller bei Hauptmahlzeiten zur Hälfte mit Gemüse und zu je einem Viertel mit Lebensmitteln, die viel Eiweiss und Kohlenhydrat enthalten.
Verzichten Sie auf strenge Diäten. Verbote von bestimmten Lebensmitteln fördern Heisshungeranfälle.
Essen Sie nur, wenn Sie Hunger haben. Verzichten Sie auf Zwischenmahlzeiten.
Entspannen Sie sich regelmässig mit Bewegung an der frischen Luft, Meditation oder Yoga.
Machen Sie eine Therapie, wenn Sie die Heisshungeranfälle nicht aus eigener Kraft vermeiden können.
Buchtipp
Viele Tipps für eine gesunde Ernährung finden Sie im Ratgeber Essen und Trinken mit Genuss. Bestellen Sie das Buch im Shop auf www.gesundheitstipp.ch.